jahresbericht13

9 ifs Beratungsdienste In seinem Buch „Die Neuerfindung des Sozialen“ zeigt Stephan Les- senich das Ende des Zeitalters des Versorgungsstaates und den An- bruch eines „neuen“ Sozialstaates auf, der anders als sein Vorgänger Fordern und Fördern zum Zentrum der „Regierung des Sozialen“ macht. Aktivierung, Selbststeuerung und Selbstführung sind die Kernpunkte dieses neuen Sozialstaates. Das heißt nichts anderes, als dass jedermann frei ist, so zu handeln, wie es einer liberalen Rationalität entspricht. Oder anders gesagt, jeder ist seines Glückes Schmied. Daraus resultieren hohe Anforderun- gen an die Selbstorganisationsfähig- keiten und das Selbstmanagement des Einzelnen. Wir müssen aus einer Vielzahl von Möglichkeiten wählen und die Verantwortung für unser Handeln selbst übernehmen, obwohl wir oft nicht in der Lage sind, die Konsequenzen genau abzuschätzen. Was für die einen Befreiung in ein selbstbestimmtes Leben ist, ist für andere Verlust von Sicherheit und Schutz. Die Herausforderung, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, führt nicht automatisch zu einem ge- glückten Leben, sondern kann durch- aus bedeuten, zu straucheln, zu fallen und aus dem Zentrum der Gesell- schaft an die Peripherie zu geraten. Am deutlichsten ist der Wandel des Sozialen auf dem Gebiet der Ar- beitsmarktpolitik zu bemerken. Alle Bestrebungen laufen darauf hinaus, eine Aktivgesellschaft zu kreieren, in der möglichst jeder und jede mög- lichst lange aktiv und produktiv und bis ins hohe Alter aktiv und gesund bleibt. Im Zeitalter des Versorgungsstaates hatten soziale Dienste wie die Be- ratungsdienste des ifs Pioniercha- rakter, denn sie waren so konzipiert, dass jeder, der ein selbstbestimmtes Leben führen wollte und der in Ent- wicklungsstörungen und Krisensitu- ationen geraten war, Hilfe und Unter- stützung erhalten hat mit dem Ziel, die Hilfe so zu gewähren, dass sie die Fähigkeiten zur eigenständigen Pro- blemlösung unterstützt. Im Zeitalter der Aktivgesellschaft haben diese Dienste nichts an ihrer Modernität und Notwendigkeit eingebüßt. Im Gegenteil: Sie stellen eine nützliche und notwendige Assistenzleistung dar, um den Einzelnen auf demWeg zu einem selbstbestimmten Leben zu unterstützen und zu begleiten. Die „Neuerfindung“ des Sozialen ist nichts anderes, als die Verwirk- lichung eines Ideals von Reformbe- wegungen der letzten 40 Jahre. Das Ideal einer liberalen Gesellschaft, die dem Einzelnen das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben einräumt. Mit den Nebenwirkungen von Vereinzelung, Verlust von Gemein- schaft, Verlust der Andersheit und von sinnstiftenden Institutionen. Um die Gesellschaft vor den patho- logischen Exzessen einer rigorosen Liberalität zu bewahren, braucht es „Liebe-ralität“, oder das, was die Re- ligionen Nächstenliebe genannt ha- ben, die moderne Sozialphilosophie spricht von der Anerkennung der An- dersheit. Auf dieser Ebene scheinen die Aktivitäten angesiedelt zu sein, die eine Gesellschaft unternimmt, wenn sie Geld dafür ausgibt, damit dem anderen Hilfe zuteil wird, wenn er sie will und braucht. Die Rate der Inanspruchnahme der Beratungs- dienste zeigt, dass die Intention des Angebots greift. ifs Beratungsdienste Der bewegte Mensch

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