ifs_jahresbericht_2021
ifs Jahresbericht 2021 4 Die COVID-19-Pandemie erschüt tert(e) die Grundlagen unseres gesellschaftlichen und wirtschaft- lichen Miteinanders, trifft uns als Gemeinschaft, aber auch als Indivi- duen. Zusätzlich verschärft wird die Situation durch den Ukraine-Krieg. Psychische und finanzielle Belas- tungen steigen und die üblichen Krisenbewältigungsmechanismen scheitern. Menschen sehnen sich generell nach Sicherheit, doch diese ist derzeit nicht mehr im bekannten Ausmaß gegeben. Vielfach haben sich Un- sicherheit und Ohnmacht breitge- macht. Auch wenn COVID-19 unser Leben seit mehr als zwei Jahren maßgeblich bestimmt, fehlt es nach wie vor an Erfahrungswerten im Umgang mit einer globalen Pandemie – vor allem in Bezug auf die psycho- sozialen Langzeitfolgen. Sich ständig ändernde Maßnahmenpakete und Informationen sowie Disruptionen in wirtschaftlichen Wertschöpfungs- ketten haben unsere Normalität außer Kraft gesetzt. Resignation und Apathie nehmen zu, aber auch die Gefahr von unüberlegtem Aktionis- mus, Radikalität, Aggressionen und Gewalt. Und so nimmt die vielzitierte Spaltung der Gesellschaft ihren Lauf. Was beschäftigt die Menschen? In der psychosozialen Arbeit ist es unumgänglich, auf diese gesell- schaftlichen Entwicklungen zu reagieren, denn die Stärkung des sozialen Zusammenhalts beginnt im Kleinen. In den Beratungen gilt es immer, respektvolle und konstruk- tive Möglichkeiten des Austauschs zu schaffen und herauszufinden, was die Klient:innen beschäftigt. Dabei zeigte sich im vergangenen Jahr, dass u. a. die Themen Gesundheit, Exis- tenzsicherung, Überforderung und Gewalt von großer Bedeutung waren und sind. Die Gesundheit stellte bereits vor Corona den wichtigsten Wert der Menschen dar. Doch die kollektive Krisenerfahrung der Pandemie gab der Gesundheit einen Teilaspekt zurück, der in den vergangenen Jah- ren zunehmend in den Hintergrund getreten war: das Bewusstsein, dass Gesundheit zuallererst bedeutet, nicht krank zu sein. Besondere Auf- merksamkeit erlangte zudem die psychische Gesundheit, vor allem jene von Kindern und Jugendlichen. Schon vor der Pandemie litt ein Vier- tel aller österreichischen Jugendli- chen unter zumindest einer diagnos- tizierbaren psychischen Erkrankung, doch 2021 hatte sich die Prävalenz psychischer Probleme unter 14- bis 18-Jährigen mehr als verdoppelt. Diese Zunahme war in unserer Ar- beit – auch bei Erwachsenen – mehr als deutlich wahrzunehmen. Auch wenn der prognostizierte Anstieg von Überschuldungen und Delogierungen 2021 vorerst ausge- blieben ist – staatliche Maßnahmen wie Kredit- und Mietstundungen sowie Zahlungen aus Hilfefonds haben gegriffen – spielte das Thema der Existenzsicherung in den Bera- tungen eine große Rolle. Arbeitslosig- keit, Kurzarbeit, krankheitsbedingte Ausfälle sowie steigende Wohnkos- ten führten dazu, dass sich viele Vorarlberger:innen um ihre Exis- tenz sorgten. Armut ist ein Thema, das nicht vernachlässigt werden darf, vor allem da vielfach Kinder und Jugendliche mitbetroffen sind und Armut im Zuge der aktuellen Teuerung sehr viel schneller in der Mittelschicht ankommen wird, als zunächst angenommen. Zahlreichen Familien fiel es schwer, die Herausforderungen des „neuen“ Alltags zu meistern. Nicht zuletzt aufgrund der erhöhten Stressbelas- tung und der erzwungenen räumli- chen Nähe (Lockdowns, Homeschoo- ling, Homeoffice) verschärften sich Konflikte auf Paar- aber auch Eltern- Kind-Ebene, Überforderung machte sich breit. Dies alles sind Risikofakto- ren für häusliche Gewalt. Sorge berei- tete in diesem Zusammenhang vor al- lem die Tatsache, dass es Kindern und Jugendlichen aufgrund der physi- schen Distanz oftmals kaummöglich war, auf Gewalterfahrungen, sexuelle Übergriffe oder Vernachlässigung aufmerksam zu machen. Dabei sind sie auf die Hilfe von aufmerksamen Erwachsenen angewiesen, um der Ge- walt ein Ende zu setzen. Komplexität der Probleme steigt Die Bandbreite an Themen, mit de- nen sich Menschen im vergangenen Jahr hilfesuchend an das ifs wand- ten, ist sehr viel größer, als an dieser Stelle ausgeführt werden kann. Her- vorzuheben ist, dass die Komplexität und Intensität der Beratungen deut- lich zugenommen haben. Vielschich- Jahresbericht 2021 Ein Überblick von ifs Geschäftsführerin Martina Gasser
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