jahresbericht verein 2016

Jahresbericht 2016 20 behandelt werden musste. Wegen der zusätzlichen Gefahren (Blutungsnei- gung, starke Schmerzen) erklärte das Gericht sämtliche Freiheitsbeschrän- kungen für zulässig. Es erteilte dem Pflegepersonal zusätzlich die Auflage, viermal täglich Steh- und Gehversuche zu unternehmen, um die Beweglichkeit zu erhöhen. Auch bei 1:1-Betreuung, etwa bei Besuchen durch Angehörige oder Hospiz-Mitar- beiterInnen, konnten die Fixierungen geöffnet werden. Ein 73-jähriger Pflegeheimbewohner erhielt seit einigen Jahren ein Medi- kament, das seine Weglauftendenz wegen Demenz reduzieren sollte. Weil er seit langem keine Anstalten gemacht hatte, das Haus zu verlas- sen, stellte der ifs Bewohnervertreter einen Antrag auf Überprüfung der Zulässigkeit dieser Sedierung. Auf Grund des Gutachtens einer Fachärz- tin für Psychiatrie wurde die Frei- heitsbeschränkung für zulässig er- klärt: Das Absetzen oder Reduzieren der Medikation hätte gemäß ihrer Ansicht mit hoher Wahrscheinlich- keit das erneute Aufflackern dieser Weglauftendenz zur Folge. Durch die Medikamentendosis seien derzeit kaum eine körperlich beruhigende Wirkung und auch keine belastenden Nebenwirkungen gegeben. Die aktu- elle Medikation sei daher die momen- tan schonendste Maßnahme. Die gerichtliche Entscheidung mit den weitestreichenden rechtlichen Konsequenzen betraf eine 27-jährige Betreute mit schwerster geistiger und körperlicher Beeinträchtigung. Mehrere Freiheitsbeschränkungen waren imWohnheim und der Werk- stätte der Behinderteneinrichtung angeordnet worden: Bettgitter und Sitzgurt im Rollstuhl sollten eine Verletzungsgefahr durch Stürze ver- hindern. Mittels schwerer Kissen auf Händen und Armen sollte sie daran gehindert werden, sich im Gesicht zu kratzen, da sie an Neurodermitis leidet. Das Bezirksgericht vertrat die Rechtsansicht, dass diese Freiheits- beschränkungen gar keine seien, da die Betroffene nicht zu willkürlichen Bewegungen imstande sei, keinen erkennbaren Bewegungswillen zeige und wies den Antrag der ifs Bewohnervertreterin zur Gänze ab. Auch das Landesgericht teilte diese Rechtsansicht in der nächsten Ins- tanz. Die ifs Bewohnervertretung ging bis zum Obersten Gerichtshof, da diese Rechtsansicht Auswirkun- gen auf viele unserer KlientInnen gehabt hätte und ihr Rechtsschutz darunter gelitten hätte. Der Oberste Gerichtshof stellte dann klar: Der Sitzgurt am Rollstuhl sei tatsächlich keine Freiheitsbe- schränkung im Sinne des Heim- aufenthaltsgesetzes, da er in der Gesamtbetrachtung den Bewegungs- spielraum der Bewohnerin erhöhe. Nur so könne sie überhaupt am sozi- alen Leben teilnehmen. Der Antrag auf Überprüfung blieb damit in die- sem Punkt abgewiesen. Die Bettgitter seien sehr wohl zur Beschränkung der Bewegungsfrei- heit im Bett gedacht. Während der Mittagszeit reiche ein Niedrigbett und eine vorgelegte Matratze als Ver- letzungsschutz aus, daher in diesem Punkt unzulässig. Hingegen sah der Oberste Gerichtshof die Verwendung von Bettgittern in der Nacht als gerechtfertigt, weil die Bewohne- rin wegen ständig unterbrochener Schlafenszeit an ihrer Gesundheit schweren Schaden erleiden würde: daher sei diese Freiheitsbeschrän- kung zulässig. Die schweren Kissen auf Armen und Händen wurden für unzulässig er- klärt, da Stoffhandschuhe als Schutz ausreichend seien und das Aufkrat- zen der Haut keine schwere Verlet- zung darstelle. Mit Ausnahme von der rechtlichen Beurteilung zum Sitzgurt ist der Oberste Gerichtshof den Argumen- ten der ifs Bewohnervertretung ge- folgt. ○

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