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Jahresbericht 2019 34 gel künftig ohne übertriebenen Auf- wand, aber doch gesetzmäßig doku- mentiert werden sollen. Seither wird die Durchführung von Freiheitsbe- schränkungen in diesem Kranken- haus vorbildlich dokumentiert. Ein 94-jähriger dementer Bewohner eines Pflegeheims steht nachts häu- fig auf, weil er Harndrang verspürt und alleine aufs WC gehen möchte. Dabei ist er in der Vergangenheit schon öfters gestürzt und hat sich auch schon Knochenbrüche zuge- zogen. Das Gericht hat diese Frei- heitsbeschränkung für unzulässig erklärt, da der kombinierte Einsatz eines Niedrigpflegebettes mit einer Sensormatte und einer Sturzmatte die Verletzungsgefahr verlässlich minimieren könne. Gleich zwei Mal im Abstand von sechs Monaten wurde ein Sitzgurt am Rollstuhl einer 50-jährigen Bewoh- nerin eines Pflegeheims für zulässig erklärt. Wegen einer hirnorganischen Psychose und Halbseitenlähmung kann sie ohne Hilfe nicht stehen und nur in Begleitung wenige Schritte gehen. Die Bewegungsbeschränkung störte sie massiv. Das Gericht erach- tete in diesem Fall keine schonendere Maßnahme als möglich und erklärte diese Freiheitsbeschränkung bei der ersten Verhandlung für sechs Monate für zulässig. Nur bei direkter Auf- sicht konnte der Sitzgurt geöffnet werden. Bis zur zweiten Verhandlung nach einem halben Jahr hatte sich die Gefahrensituation so gemindert, dass der Sitzgurt nur noch bei Fahrten über abschüssiges Gelände verwen- det wurde. Die Bewohnerin war auch damit nicht einverstanden und erhob ein Rechtsmittel gegen die Zulässig- keitsentscheidung des Bezirksge- richts. Eine Entscheidung des Landes- gerichts in zweiter Instanz war zum Jahresende noch ausständig. Ein 91-jähriger Bewohner eines Pflegeheims leidet an Demenz mit starkenWahrnehmungsstörungen, steht nachts mehrfach auf, wandert umher oder legt sich auf den Boden und schläft dort ein. Seine Mobilität ist stark wechselnd: mal besser, dann wieder extreme Gangunsicherheit. Auch ist er nachts schon am Balkon stehend aufgefunden worden. Nach einigen Versuchen mit den klassi- schen Hilfsmitteln (Niedrigbett, Sensormatte, Sturzmatratze), die ihn in seinem Bewegungsdrang nicht aufhielten, hat die Stationsleiterin sein Zimmer mit Matratzen ausge- legt und das Bett als Hürde davorge- stellt. Letztlich stand ihm auf diese Weise eine ca. 4m² große Liege- und „Krabbel“-fläche zur Verfügung, auf der er nachts ohne Verletzungsgefahr schlafen konnte. Dieses „Setting“ – ergänzt durch eine Sensormatte für den Fall, dass der Bewohner über die Betthürde klettern sollte – erklärte das Bezirksgericht für zulässig, weil es in seinem Fall tatsächlich die schonendste Maßnahme darstellte. Für das Pflegepersonal war diese Form der nächtlichen Betreuung sehr aufwändig und ist daher besonders erwähnenswert. Der Bewohner- vertreter hatte diesen Antrag auch deswegen gestellt, um von einem Pfle- gesachverständigen beurteilt zu be- kommen, ob diese Form ein (seit 2015 absolut verbotenes) „käfigähnliches Bett“ darstellt, was dieser verneinte. Wegen vermeintlicher Fremdgefähr- dung durch eine verwirrte Bewoh- nerin wurden in einem Pflegeheim nach und nach sämtliche anderen Bewohner*innenzimmer vom Pfle- gepersonal versperrt. Bei entschei- dungsfähigen Bewohner*innen, die sich belästigt fühlen, wird dies manchmal so ausgeführt. In diesem Fall waren aber zumindest zwei Bewohner*innen eingesperrt, die nicht mehr in der Lage waren, einen solchen Wunsch zu äußern, bzw. die ihr Zimmer jederzeit verlassen wollten. Auch diese Freiheitsbe- schränkung wurde vom zuständigen Bewohnervertreter an das Gericht herangetragen, welches das Versper- ren der Zimmertür ohne Einwilligung der Bewohner*innen aus mehreren Gründen für unzulässig erklärte: Erstens sei nicht auszuschließen, dass verwirrte Menschen einen an- deren Ausgang suchen, z. B. über das Fenster, was eine Gefahrenerhöhung darstelle; zweitens sei der Besuch einer verwirrten Bewohnerin keine Gefährdung, sondern nur eine Be- lästigung und daher das Versperren der Zimmertür nach den Maßstäben des Heimaufenthaltsgesetzes nicht zulässig; und drittens gäbe es elek- tronische Türschließsysteme zum Nachrüsten, die ein Betreten durch unbefugte Personen zuverlässig ver- hindern würden. ○ Dr. Herbert Spiess Leiter ifs Bewohnervertretung

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