Jahresbericht 2023 36 Eine sturzgefährdete Bewohnerin mit dementieller Entwicklung hatte im Pflegeheim einen starken Bewegungsdrang. Vor allem ab Mittag begann sie vermehrt umherzulaufen. Der ifs Bewohnervertretung wurde eine medikamentöse Sedierung gemeldet. Insgesamt waren für die Bewohnerin neben Dauermedikamenten vier verschiedene Psychopharmaka für den Einzelfall verordnet, welche sie beruhigen sollten. Die Medikamente sollten zwar eine Mobilität nicht ganz verhindern, aber das ständige Aufstehen und ruhelose Umhergehen unterbinden. Diese Einzelfallmedikamente wurden ab Mittag bis in den Abend hinein verabreicht. Zuvor erfolglos versuchte gelindere Maßnahmen waren dem Pflegebericht nicht zu entnehmen. Auch Schlafmittel, für den Fall, dass die Bewohnerin nachts nicht schlafen konnte, bekam sie in Einzelfällen bereits zu Mittag, das dauerhaft verordnete Schlafmittel oft noch vor dem Abendessen. Die Bewohnerin stand zwar nicht mehr so oft von ihrem Stuhl auf, zu Stürzen kam es dennoch. Da die Gefahr auf andere Weise abgewehrt werden könnte, nämlich durch Einzelbetreuung, durch Alarmmatten, Sturzraumerweiterung etc., und da die Maßnahmen zur Gefahrenabwehr aufgrund der wiederholten Stürze auch nicht geeignet waren, wurde die Gabe der Einzelfallmedikation für die zu prüfenden Zeiträume als unzulässig erklärt. Bereits im Vorjahr wurde an dieser Stelle von einem Patienten in einem Krankenhaus berichtet, der aufgrund des Sturzrisikos nach einem Schlaganfall und bei hoher körperlicher Unruhe mehrwöchig im Bett und im Rollstuhl fixiert wurde. Es erging keine Meldung an die ifs Bewohnervertretung, da dies gemäß der Meinung der Einrichtung nicht erforderlich war: In Krankenanstalten gilt das HeimAufG für Patient:innen mit einem durch eine psychische Erkrankung oder geistige Beeinträchtigung ausgelösten ständigen Pflege- und Betreuungsbedarf, der unabhängig von der Behandlung im Krankenhaus bereits bestehen muss. Ein:e solche:r Patient:in verliert den besonderen Schutz des HeimAufG nicht durch den Krankenhausaufenthalt, ohne Unterschied, ob diese:r Patient:in daheim oder in einer Einrichtung gepflegt wird. Die Entscheidung zum Fall erstreckte sich über alle drei Instanzen und dauerte bis Juli 2023: Mit der Wortfolge „ständige Pflege oder Betreuung“ ist ein voraussichtlich auf Dauer oder auf unbestimmte Zeit bestehender Zustand gemeint. Ein vorübergehender Pflegebedarf erfüllt diesen Tatbestand nicht. Die Behandlung in verschiedenen Krankenanstalten/-abteilungen und die Dauer des Aufenthalts spielen für die Frage der Anwendbarkeit des Gesetzes keine Rolle. Solange die medizinische Behandlung noch nicht abgeschlossen ist und damit auch noch nicht feststeht, dass der Patient endgültig ständige Pflege und Betreuung benötigt, weil noch Besserungen zu erwarten sind, unterliegt er nicht dem HeimAufG. Dies auch dann, wenn dieser Schwebezustand mehrere Monate dauert und der Patient auch auf anderen Abteilungen bzw. in anderen Krankenanstalten behandelt wird. Dadurch kommt es in Krankenanstalten zu Rechtsschutzlücken, z. B. auf neurologischen Abteilungen bei Personen nach einem erstmaligen Insult. Erst wenn ein „finaler“ Zustand dauernder psychischer Erkrankung oder geistiger Beeinträchtigung vorliegt, der mit einer ständigen Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit einhergeht, gelangt das HeimAufG auch in Krankenanstalten zur Anwendung. Dieser Zustand wurde dem betroffenen Patienten bei seiner Entlassung in das Pflegeheim zwar bescheinigt, eine solche Beurteilung im Nachhinein führt aber nicht zur rückwirkenden Änderung der Rechtslage. Auch im Vorjahr kam es zu einem Antrag in einem ganz ähnlich gelagerten Fall. Vom Erstgericht wurden bei einem Mann, der seit 18 Jahren in einem Pflegeheim lebte, die anlässlich eines Krankenhausaufenthaltes erfahrenen Freiheitsbeschränkungen (u. a. mehrwöchige Fixierungen) abgewiesen, da im Krankenhaus keine psychische Erkrankung, wie sie das HeimAufG verlangt, vorgelegen habe. Lediglich eine Entscheidung ist bekannt, bei welcher ein Gericht zweiter Instanz im Zweifel unter Berufung auf grundrechtskonforme Interpretation das HeimAufG als anwendbar erklärte.2 Unsicherheiten, ob das HeimAufG in Krankenanstalten im Einzelfall anzuwenden ist, gab es ab Inkrafttreten im Jahr 2005. In der Folge wurden in Vorarlberg bis etwa 2017 jedes Jahr rund 30 Prozent Freiheitsbeschränkungen gemeldet, die laut Gesetz, Begleitmaterialien und den vom OGH entwickelten Grundsätzen nicht in den Schutz des HeimAufG fielen. Durch die intensive Zusammenarbeit der Bewohnervertretung mit den Vorarlberger Landeskrankenhäusern
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