ifs_zeitschrift_2_15_sc

15 Winter 2015 mit einer „Doppelbetreuungsstruktur“, d.h. dass zwei Mitarbeiter des AbW sich um einen Jugend- lichen kümmern. Auch hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass sich viele Jugendliche schwer tun, einen Anschluss in die Arbeitswelt zu finden. Oft sind sie in ihrer derzeitigen Lebenssituation gar nicht in der Lage, einer 40-Stunden-Beschäftigung nachzugehen. Deshalb bieten wir seit rund einem Jahr die „Kre- ativwerkstatt“ an. Zwei Mal in der Woche kochen wir gemeinsammit ihnen und bieten eine kon- struktive Freizeitgestaltung an. Zudem betreuen wir seit einiger Zeit einen unbe- gleiteten minderjährigen Flüchtling. Die Arbeit mit Jugendlichen, die aus ihrer Heimat alleine flie- hen mussten, wird uns in den nächsten Monaten und Jahren zunehmend beschäftigen. Aber gerade diese Arbeit zeigt die Sinnhaftigkeit unseres Konzepts. Diese jungen Menschen haben viel Selb- ständigkeit auf demWeg zu uns nach Österreich zeigen müssen und dennoch brauchen sie einen Halt, eine Unterstützung, Erwachsene, denen sie vertrauen können. Die Dankbarkeit, die Freude, dass da jemand ist, demman vertrauen kann, der sich für ihr Schicksal interessiert, zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind. M. Brüstle: Das AbW setzte auch Impulse für die Entwicklung in der Sozialpädagogik. Ganz wichtig ist die Zusammenarbeit mit den Wohnge- meinschaften. Manche Jugendliche sind im AbW überfordert. Dann besteht die Möglichkeit, dass die Betroffenen in die WG wechseln. Umgekehrt können Jugendliche aus der WG, wenn sie soweit sind, in das AbWwechseln und erhalten hier ein Experimentierfeld, um eigenständiges Wohnen auszuprobieren. Sollte der Schritt noch zu früh gewesen sein, können sie zurück in die WG und den Schritt zu einem spä- teren Zeitpunkt nochmals wagen. A. Hilbe: Diese Zusammenarbeit ist in den letzten Jahren noch viel intensiver geworden. Nicht nur mit den WGs, sondern mit allen Fachbereichen der ifs Sozialpädagogik. Es ist ein Miteinander an Unterstützung, Perspektiven usw. entstanden. Was wünschen Sie beide sich für „Ihre“ Jugendlichen? A. Hilbe: Eine Unterbringung im AbW endet meist mit der Volljährigkeit. Wir haben immer wieder die Möglichkeit, diese Maßnahme bis zum 19. Geburtstag zu ver- längern. Ich würde mir wün- schen, dass das Verständnis, dass manche jungen Erwach- senen noch etwas Zeit brau- chen und daher länger von uns betreut werden, größer wird. Zu erwarten, dass unsere Jugendlichen, die oft kein sta- biles Familiensystem im Hin- tergrund haben, alles alleine können, ist Utopie. Zudem würde ich mir von unserer Politik wün- schen, dass es für junge Erwachsene, die noch in der Ausbildung sind oder diese gerade abgeschlos- sen haben, die wenig Geld zur Verfügung haben, leichter wird, geeigneten Wohnraum zu finden. Dieses Thema stellt in den letzten Jahren eine zunehmende Belastung für alle Beteiligten dar. Oft suchen die Jugendlichen monatelang nach einer geeigneten Wohnung. Wenn sie bis zu ihrem Auszugstermin, der an ihr Alter gekoppelt ist, nichts Geeignetes gefunden haben, müssen wir sie gelegentlich in die Ungewissheit entlassen. M. Brüstle: Ich wünsche mir für die Jugendlichen, dass das Wissen und die Kenntnisse, die wir aus der Forschung haben, in die Pädagogik miteinflie- ßen und Auswirkungen auf pädagogische Kon- zepte haben. Wir wissen heute, dass die Pubertät/ Adoleszenz eben nicht mit 18 Jahren abgeschlos- sen ist, sondern dass sie über diesen Zeitpunkt hinausgeht. Die Hirnforschung zeigt, dass das bis zum 25. Lebensjahr dauert. Es ist zu beachten, dass es auch junge Erwachsene gibt, die noch Unterstützung brauchen, vielleicht in einer etwas anderen Form. Es ist wichtig, dass wir als Gesell- schaft darauf achten, was es – im Sinne der Nach- haltigkeit, im Sinne des Vertrauens in Menschen, in deren Entwicklungsbereitschaft und Entwick- lungsfähigkeit – braucht. ○ Danke für das Gespräch. Andrea Hilbe Leiterin ifs Ambulant betreutes Wohnen andrea.hilbe@ifs.at Mag. Martin Brüstle Psychotherapie Vorarlberg martin.bruestle@ifs.at „Zu erwarten, dass unsere Jugendlichen, die oft kein stabiles Familiensystem im Hintergrund haben, alles alleine können, ist Utopie.“ „Es ist wichtig, dass wir als Gesellschaft darauf achten, was es – im Sinne der Nach- haltigkeit, auch im Sinne des Vertrauens in Menschen, in deren Entwicklungsbereit- schaft und Entwicklungsfä- higkeit – braucht.“

RkJQdWJsaXNoZXIy NTQ2MDY0