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wie 22 Frau Patsch, glauben Sie als Logotherapeutin, dass Vertrauen angeboren ist? Gibt es so etwas wie das Urvertrauen? Einerseits ist Vertrauen im Sinne der biologischen Komponente angeboren. Wir verbringen neun Monate imMutterleib und sind intensiv mit einem Menschen verbunden. In dieser Zeit werden wir, ohne schreien oder etwas sagen zu müssen, wie ein Rundum-sorglos-Paket versorgt. Diese Erfahrungen, sagen die Hirnforscher, bringen wir mit auf die Welt. In den neun Monaten passiert Bin- dung aufs Engste und trotzdem erlebt man zugleich Autono- mie. Ein Zustand, den wir so – ohne Widerspruch von außen – nie mehr wieder erlangen werden. Und doch kommen wir auf die Welt und wollen ihn wieder erleben. Was für mich wesentlicher ist: Die Affektkontrolle im Gehirn bildet sich von der 28. Schwanger- schaftswoche bis zum 18. Lebensmonat aus. Das bedeutet, dass diese Zeit sehr wichtig ist. In dieser Zeit muss mindestens ein Mensch für das Kind da sei, damit sich das Vertrauen, das man imMutter- leib erfahren hat, bestätigt. Je kleiner das Kind ist und je weniger es die Möglichkeit hat, sich sprach- lich auszudrücken, umso schneller sollte jemand da sein, der es tröstet, der es umsorgt. Was beinhaltet Vertrauen? Ich denke, Vertrauen ist so etwas wie eine innere Überzeugung, dass das Leben gut ausgeht. Was unbedingt dazugehört, das ist die Hoffnung. Hoffnung auf bessere Zeiten – auch wenn die Zeichen momentan auf Sturm stehen, auch wenn jemand erkrankt ist. Die Hoffnung, dass es nicht so schlimm bleiben wird, wie es imMoment gerade ist. Wichtig sind für mich in diesem Zusammen- hang auch Freiheit, Verantwortung und Momente – sogenannte magic moments –, in denen ich mich freuen kann, obwohl ich gerade schwierige Zeiten durchlebe. Was stärkt Vertrauen? Wodurch wächst Vertrauen? Im seelischen Bereich wächst Vertrauen durch menschliche Beziehungen. Mit menschlichen Beziehungen meine ich nicht nur die Beziehung zu meinemMann, meiner Freundin oder meinen Eltern, sondern ich kann beispielsweise auch in Beziehung zu einemMenschen treten, indem ich dessen Biografie lese und dieser Mensch mich fasziniert. Ich kann durch solche Leuchtturmmen- schen für mich Hoffnung und Vertrauen schöpfen. Auch die Natur, die Jahreszeiten können Ver- trauen stärken. Ich gehe liebend gerne in Seen schwimmen, habe ab April immer eine Badetasche bei mir. Momentan sind die kleineren Seen zuge- froren, wir können uns kaum vorstellen, dass man darin wieder schwimmen kann. Und doch können wir darauf vertrauen, dass es im Frühjahr wieder zu tauen beginnt. Deswegen ist die Natur für mich eine stärkende Komponente. Das Dritte sind die körperlichen Erfahrungen. Unser Körper ist ein treuer Freund und er würde uns – oft sehr leise, nur in einem leisen Anflug von Unbehagen – warnen, bevor sich der Schmerz ausbreitet, würde uns sagen, dass wir nicht gut mit uns umgehen. Wir sollten wieder viel mehr auf unseren Körper hören, denn so könnten wir ler- nen, uns selbst zu vertrauen. Allerdings ohne allzu große Sorge, was dieses oder jenes Wehwehchen bedeutet. Zu guter Letzt stellen Spiritualität, der Glaube im weitesten Sinne – ob an gute Mächte oder geheim- nisvolle Kräfte oder einfach daran, dass es noch mehr gibt als das Sichtbare – in der heutigen Zeit für viele Menschen eine wesentliche Vertrauens- quelle dar. Auch das Vertrauen in den Zufall, dass einem Dinge zufallen, für die man selbst gar nichts getan hat. Das stärkt Vertrauen enorm. Kann man lernen zu vertrauen? Ja. In erster Linie sollten wir uns selbst ernst neh- men. Wir sollten wieder wahrnehmen, an welchen Orten und mit welchen Menschen wir uns wohl- Vertrauen schenkt Freiheit Ein Gespräch mit Inge Patsch, Gründerin und Leiterin des Tiroler Instituts für Logotherapie und Existenzanalyse nach Viktor E. Frankl „Ich denke, Vertrauen ist so etwas wie eine innere Über- zeugung, dass das Leben gut ausgeht.“

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