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wie 24 Nicht alle schaffen es, das Vertrauen wiederzuerlangen? Nein. Hier möchte ich nochmals auf die ersten eineinhalb Jahre eines Menschenkindes verwei- sen. In dieser Zeit passiert sehr vieles in Bezug auf das Vertrauen ins Leben. Natürlich gibt es auch Traumatisierungen im späteren Alter, aber dass Menschen Vertrauen an sich nicht kennen, das passiert sehr, sehr früh. Die Hawaiistudie von Emmy Werner, eine der größten Stu- dien weltweit, hat untersucht, welche Faktoren die Resilienz, die seelische Widerstandskraft, zu der auch Vertrauen zählt, stärken. Die Bedingungen sind es nicht – nicht die begüterte Familie, nicht das Land. Die Zuwendung aber ist etwas, worauf sich ein Men- schenkind verlassen kann. Dass es weiß, wo es sich Hilfe holen kann. Bei Schicksalsschlägen ist dies beispielsweise eine wesentliche Kompetenz von Menschen, um Vertrauen wiederzugewinnen – zu wissen, dass man sich Hilfe holen kann, einfach einmal erzählen zu dürfen, dass es schlimm ist und dass es vorerst nichts gibt, das tröstet. Sich professionelle Hilfe als auch Hilfe von Freun- den zu holen? Ja, beides. Ich habe in erster Linie nicht an pro- fessionelle Hilfe gedacht, sondern an Familie, Freunde, Nachbarschaft. Einfach an Menschen, die bereit sind zuzuhören – ohne Besserwisserei. Beeinflusst vorhandenes bzw. fehlendes Ver- trauen die Lebensqualität? Ja, massiv. Das äußert sich folgendermaßen: Ist generell kein Vertrauen in das Leben vorhanden, so ist auch kein Vertrauen in die Menschen, mit denen man zusammenlebt, vorhanden und dann entstehen unrealistischen Forderungen an andere. Ich führe in diesem Zusammenhang gerne das Beispiel vom Chef bzw. der Chefin mit narziss- tischen Merkmalen an. Mitarbeiter können Saltos schlagen, der Vorgesetzte wird nie zufrieden sein. Da fehlt Vertrauen. Oder wenn ein Familienmit- glied das Vertrauen auf einen guten Ausgang überhaupt nicht hat, sondern ständig Forderungen stellt. Solche Menschen beeinträchtigen nicht nur ihre eigene Lebensqualität, sondern auch die Lebensqualität derer im Umfeld. Die Menschen im Umfeld können sich eigentlich nur schützen, indem sie die Zeit, die sie mit demMenschen ver- bringen, begrenzen und sagen: Mehr Energie habe ich nicht. Ich bin davon überzeugt, dass Menschen, die nicht vertrauen können oder keine Ahnung vom Vertrauen ins Leben haben, ihrer Umwelt das Leben schwer machen. Leider gibt es Menschen, die nicht vertrauen können. Aber ich kann offen sein und mich beschenken lassen. Was sind Hürden für Vertrauen? Ich denke, fehlendes oder mangelndes Realitäts- bewusstsein. Und auch mangelnde Menschen- kenntnis. Bei der Vielfalt an Menschen, die uns begegnen, tut ein bestimmtes Maß an Einfüh- lungsvermögen und an Wissen – nicht was der Mensch sagt, sondern was er ausstrahlt – gut. Eine weitere Hürde ist der Perfektionismus. Ich liebe Verlässlichkeit und das Perfekte, aber wenn es zum Nonplusultra wird, wenn die Forderung, dass keine Fehler passieren dürfen, zu einem über- ragenden Erfüllen eines Wertes wird, dann ist das gegen jede Menschlichkeit, gegen jede Humanität. Und das erschwert vielen das Leben. Deshalb ist hier Kontrolle gut, aber Vertrauen besser. Eigent- lich heißt dieser Spruch andersrum: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“. Aber Kontrolle erhöht die Angst und damit steigt auch der Stress. Dann wer- den Menschen entscheidungs- und handlungsun- fähig. Einfach aus Angst: Bevor ich wieder einen Fehler mache, mache ich lieber gar nichts. Eine wichtige Hürde ist zudem jene, dass man etwas, das gut läuft, zum Prinzip erhebt: Da es gut läuft, müssen wir es ab sofort immer so machen – aber mit Regeln. Dieses „Wir brauchen eine bestimmte Norm“ tötet die Kreativität. Das Leben ist ständige Veränderung und damit hemmt jede Fixierung, das Vertrauen. Auch wenn ich mir sicher bin, unser Leben ist nicht sicher. Für mich die größte Hürde ist wohl das Missver- ständnis, dass Vertrauen mit Sicherheit gleichge- setzt wird, dass man glaubt, Vertrauen könne wie in einer Checkliste abgehakt werden: Wenn du das tust, dann… Diese Wenn-dann-Strategie eignet sich nicht für das Vertrauen. Vertrauen bedeutet in diesem Fall auch, dass ich meinem Gegenüber eingestehe, dass er Fehler machen darf? Ja, absolut. Und manchmal zeigt einem auch der Körper Grenzen auf. Ich denke beispielsweise an die Schirennläufer des ÖSV, die oftmals unter einem enormen Druck stehen. Aber Höchstlei- stung ist nur begrenzt möglich und auch ein Zur Person Inge Patsch ist Logotherapeutin und bietet zahlreiche Seminare und Vor- träge in der Erwachsenenbildung an. Patsch gründete 2002 das Tiroler Institut für Logotherapie und Existenzanalyse nach Viktor E. Frankl.

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