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wie 6 von der Entscheidung, dass jemand sich anstiften lässt. Das Ohr hört, wenn es etwas zu hören gibt. Die Haut fühlt einen anderen Menschen oder den Wind, wenn sie berührt wird. Das Gehirn denkt, wenn es ein Problem zu lösen und eine Frage zu beantworten gilt, und die Füße gehen, wenn es ein Motiv zum nächsten Schritt und zum Aufbruch gibt. Jeder von uns hat das schon einmal gelernt, übt es insgeheim jeden Tag und dennoch steht uns dieses Wissen nicht selbstverständlich als Kraftquelle zur Verfügung, wenn wir in eine Krise geraten und aus einer gerade erreichten Ordnung ins Chaos fallen. Im Angesicht der Vergänglichkeit des Lebens, sei- ner ständigen Bewegtheit und seines Wandels wie auf dem Hintergrund der Tatsache, dass jeder Ver- such, das Leben zu wagen, scheitern kann, muss die Verabredung mit dem Leben ständig erneuert werden. Was immer der Mensch erfährt, erlebt, denkt und fühlt, ist und bleibt nicht immer so. Es gibt nichts, was dau- erhaft wäre. Das Leben zu wagen, ist mit der Bereit- schaft verbunden, in jedem Augen- blick geboren zu werden, aber auch zu sterben; fliegen zu lernen und zu landen; Grenzen zu überschreiten und andere einzuhalten; zu weinen und zu lachen; der Freude und der Angst einen Platz zu geben; zu lieben und sich einzulassen und sich zu trennen und Abschied zu nehmen, wenn es erforderlich ist. Wie Himmel und Erde, Tag und Nacht einander brauchen, so muss der Mensch, umMensch zu werden, immer wieder zwei polare Dimensionen in seinem Leben realisieren und kann auf keine verzichten. Nur mit dem festen Boden unter sich, der ihn anzieht, kann er sich im aufrechten Gang dem Himmel entgegen strecken und wagt dabei mit jedem Schritt den Fall, ohne sein Vertrauen zu verlieren. ○ Annelie Keil Auf brüchigem Boden Land gewinnen Biografische Antworten auf Krankheit und Krisen Unser Leben ist ein fort- währender Prozess der Wandlung, unvorhersagbar und voller Überraschun- gen. Zwischen Chaos und Ordnung, Anpassung und Widerstand, Freiheit und Abhängigkeit sind wir ohne Navigator in der Fremde unterwegs und herausge- fordert, eine einzigartige biografische Welt zu gestal- ten, die unseren Namen trägt. Lust, Glück und Pech, Angst und Mut, Hoffnung, Abschied, Verzweiflung, Gelingen und Scheitern stehen wie Gesundheit und Krankheit auf der Tagesordnung, die wir nicht ändern, aber begrei- fen und lernen können. Wer leben will, muss älter werden, Erfahrungen sammeln und Land gewinnen! Das Buch erzählt von geglückten und geschei- terten Versuchen, inmitten der konkreten Lebenswelt die eigene Person und ihre Biografie zu erfinden. Und wie es gelingen kann, sich trotz Bruchstellen und Krisen immer wieder neu mit dem Leben zu verabreden, sich selbst auf die Spur zu kommen und der eigenen Kraft, Lebenskompe- tenz und Fantasie zu vertrauen. Annelie Keil Auf brüchigem Boden Land gewinnen Kösel, 2011 „Das Leben zu wagen, ist mit der Bereitschaft ver- bunden, in jedem Augen- blick geboren zu werden, aber auch zu sterben; fliegen zu lernen und zu landen; Grenzen zu überschreiten und andere einzuhalten.“ Prof. Dr. Annelie Keil Sozial- und Gesundheitswissenschafterin Bremen

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