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www.ifs.at Seite 8 Alleine Leben lernen und doch nicht alleingelassen sein IfS-Fundament:Wohnen und Leben in Eigenständigkeit für Menschen mit Lernschwierigkeiten und geistiger Behinderung Wohnen ist ein Grundbedürfnis eines jeden Menschen. Eigenständig und selbständig zu wohnen, in der für jeden Einzelnen bestmöglichen Art, fördert die Zufriedenheit und das Wohlbefin- den des Menschen. Für Menschen mit einer Behinderung ist ein selbstbestimmtes Leben in vielerlei Hinsicht erschwert. Die Ursachen dafür können auch im Umfeld und den Struk- turen liegen. Da der Blick oft auf die Defizite gerichtet ist, werden die Mög- lichkeiten zur Selbstbestimmung durch Menschen, mit denen die Betroffenen in Beziehung stehen, erschwert. Fehlendes Vertrauen in ihre Fähigkeiten und Stär- ken führen nicht selten zu einer Bevor- mundung und zu allzu fürsorglichem Umgang. „Das Ermöglichen eines selbstbestimm- ten Lebens für Menschen mit Behinde- rung – ‚Leben auf eigene Gefahr‘ – ist aus dem Selbstverständnis betroffener Menschen entstanden. Kein Mensch darf nur deshalb, weil er behindert ist, aus dem Umfeld, in dem er lebt oder leben will, abgeschoben werden. Viel- mehr gilt es individuelle Lebensbereiche abzusichern, anstatt sie von außen mit fertigen Konzepten und Strukturen zu besetzen“. 1 IfS-Assistenz: Mit demMensch, nicht für ihn Der Wandel von Betreuung zu Assis- tenz ist ein deutliches Zeichen für eine wertschätzende, gemeinsame Kultur. Die IfS-Assistenz begleitet und unter- stützt Menschen mit Behinderung und deren Angehörige in allen Lebensfra- gen. Vorrangiges Ziel ist es dabei, Men- schen mit Behinderung in ihrer Eigen- verantwortung und Eigenständigkeit zu stärken und eine Selbstbestimmung sowie eigenständige Lebensführung zu ermöglichen. Es gibt keine bessere In- tegration, als Menschen mit Unterstüt- zungsbedarf zu befähigen, die Dinge des alltäglichen Lebens selbst zu tun. Es gibt keine bessere Förderung, als Men- schen mit einer Behinderung selbst ihre Bedürfnisse entdecken und einfordern zu lassen, anstatt ständig als Fürspre- cher dazwischen zu treten. Dazu gehört die Sicherstellung der Wohnsituation genauso wie die Bewältigung der All- tagsanforderungen. Die Wege zur Normalität – Chancen undWiderstände Die Praxis der Integration in den Be- reichen Erziehung, Bildung, Wohnen, Freizeit und Arbeit hat gezeigt, dass Menschen mit Behinderung keine Son- dereinrichtungen benötigen. Bereits seit 1978 integrierte die IfS-Fach- gruppe „Berufliche und soziale Rehabili- tation“ (heute IfS-Assistenz) Menschen mit Behinderung in die reguläre Arbeits- welt. Und es zeigte sich, dass Menschen mit Behinderung nicht nur den Wunsch nach einer eigenständigen Erwerbstä- tigkeit hegen, sondern auch selbständig wohnen möchten. Mitte der 1980er Jah- re konnte erstmals ein konkreter Bedarf an speziellen Wohngemeinschaften au- ßerhalb der Familie festgestellt werden. Diese WGs sollten eine Alternative zur bisherigen Unterbringung in Heimen bzw. Altersheimen darstellen. Abenteuer Wohnen – Eine Wohngemeinschaft für Rollstuhlfahrer Die ersten Initiativen erfolgten von pri- vater Seite nach Vorbildern des „Mobi- len Hilfsdienstes“ in München. Nach drei Jahren intensiver Arbeit und Pla- nung wurde im März 1986 in Feldkirch die erste Wohngemeinschaft für Roll- stuhlfahrer eröffnet, die gemeinsammit den zukünftigen Bewohnern konzipiert worden war und ein Wohnen ganz un- abhängig von Institutionen ermöglich- te. Das Besondere an dieser Wohnform war die große Autonomie der Bewohner. Die Lage in der Innenstadt erleichterte die sozialen Kontakte. Anfallende Inves- titionskosten konnten zum größten Teil mit privaten Geldern bestritten werden, während die öffentliche Hand die Be- triebskosten übernahm. Dieser Pilotver- such führte zu wesentlichen Erkennt- nissen für die MitarbeiterInnen des IfS, welche die Wohngemeinschaft unter- stützten, mitgestalteten und organisa- torisch wie auch fachlich begleiteten. Der Aufbau der Wohngemeinschaft war für alle Beteiligten ein neues Erlebnis, ein Abenteuer. Wohngemeinschaft für Menschen mit geistiger Behinderung Dank der Erfahrungen, die in Feldkirch gesammelt werden konnten, gestalte- te sich die Gründung einer Wohnge- meinschaft für Menschen mit geistiger Behinderung in Bludenz als wesentlich einfacher. 1987 bezogen sieben Menschen mit Unterstützungsbedarf gemeinsam mit zwei BetreuerInnen die sogenannte „F8“. Diese stellte eine Form des Woh- nens zwischenHeimund selbständigem Leben dar. Erstmals wurde eine bewuss- te Trennung von Arbeit und Wohnen vorgenommen. Die fachliche Beglei- tung zeigte Menschen mit Behinderung Wege auf, wie ein eigenständiges Leben gestaltet werden konnte. Eine weitere Wohngemeinschaft dieser Art eröffnete 1991 in der Rheinstraße in Bregenz. In der Folge wurde, inspiriert von hol- ländischen Beispielen des „individuellen Wohnens“, ein Konzept für eine „Ambu- lant betreuteWohnform“ für Menschen mit geistiger Behinderung entwickelt. Die Bewohner bewältigten ihren Le- bensalltag – zeitweilig unterstützt von nebenamtlichen MitarbeiterInnen des IfS – größtenteils selbständig. Da sie tagsüber an einem geschützten Ar- beitsplatz tätig waren, konnten sie ei- nen Teil ihres Lebensunterhalts selbst finanzieren.

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