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www.ifs.at Seite 12 Mithilfe des Buches „Helfen in der Mo- derne und Postmoderne“, das hier zu- gleich vorgestellt und jedem ans Herz gelegt sei, der an einer, wie es der Autor nennt, „Dekonstruktion“ des Begriffs der Hilfe interessiert ist, soll nachge- fragt werden, was helfen heute für uns bedeuten kann. Für uns, das sind die im psychosozialen Feld der gesellschaft- lich organisierten Hilfen Tätigen und das sind wir, die tagtäglich unter dem Leitmotiv des IfS die Arbeit machen, die WEITER helfen heißt. Die Quintessenz der Untersuchung, die JanVolkerWirth unternimmt,ist verblüf- fend einfach: Helfen kann nicht leisten, was es beabsichtig. Warum? Der Begriff Helfen ist vielschichtig, polysemantisch und historisch determiniert. Als zentra- ler Begriff der sozialen Arbeit und der Beratung steht er für eine systemati- sche, methodisch aufgebaute, staatlich organisierte und finanzierte Tätigkeit mit dem Ziel, Personen darin zu unter- stützen, psychosoziale Problemlagen zu vermeiden oder zu beseitigen. „Unter Hilfe verstehen wir solche In- teraktionsformen, durch die ein oder mehrere Handlungspartner einen oder mehrere andere unterstützen, Ziele zu verwirklichen“ (Wirth, S. 67). Im All- gemeinen und im IfS im Besonderen ist diese Hilfe mit der Vorstellung der Hilfe zur Selbsthilfe verbunden. Das heißt, wir adressieren uns mit unserem Hilfsangebot an Subjekte (und dieses Subjekt unterstellen wir bei jedem, der zu uns kommt), die wirkungsvoll sein wollen, die nach Selbstrealisierung und Selbstverantwortung streben und die vorübergehend in diesem Ziel gehemmt oder beeinträchtigt sind. Ob und in wel- cherWeise mit einem solchen Verständ- nis von Subjektivität Hilfe erfolgreich sein kann, hängt von der „Gemüts- und Geisteshaltung“ einer Gesellschaft ab. Wirth versucht zu zeigen, dass in einer Gesellschaft,die alsmodernbeschrieben wird, sich andere Formen des Helfens durchsetzen als in einer Gesellschaft, die als postmodern beschrieben wird. Helfen als zentrales Prinzip der sozialen Arbeit ist immer strukturell ambivalent. Sie oszilliert in der Ambivalenz und ten- diert dazu, die Ambivalenz dialektisch aufzuheben. Die als strukturell bezeich- nete Ambivalenz resultiert aus öffent- lichem Auftrag (Kontrolle/Anpassung) und der Anerkennung der Pluralität von Denk- und Lebensweisen. In einer Ge- sellschaft, in der sich Eindeutigkeiten auflösen, lineare Kausalität in zirkulä- re Kausalität übergeht, das Denken in Ganzheitlichkeit das reduktionistische Denken verdrängt und die Anerkennung von Komplexität eher als Lösung und die Reduktion von Komplexität als das Pro- blem gesehen wird, wird helfen zu einer Methode der Akzeptanz der Ambivalenz. Das heißt, wir bewegen uns zwischen folgenden Denkpositionen hin und her: Subjektivität vs. Individualität, Pro- zessorientierung vs. Zustandsorientie- rung, Vieldeutigkeit vs. Eindeutigkeit, Kontextabhängigkeit vs. Kontextun- abhängigkeit, Selbstreferentialität vs. Fremdreferentialität, Relativierung vs. Absolutierung, zirkuläre Kausalität vs. lineare Kausalität, Ganzheitlichkeit vs. Reduktionismus, Autonomie vs. Hetero- nomie, Intersubjektivität vs. Objektivi- tät, Ressourcenorientierung vs. Defizito- rientierung (vgl.Wirth, S. 39). Helfen als Hilfe zur Selbsthilfe kann ihr Ziel nur verfehlen, wenn sie sich darauf bezieht, zu helfen, um nicht mehr hel- fen zu müssen. „Die Unterscheidung zwischen richtiger und falscher Hilfe, zwischen Hilfe und Nicht-Hilfe fällt zwangsläufig kontingent aus, das heißt, sie ist abhängig vomUrteil der involvier- ten Systeme.“ Die Helfer und die helfen- den System geraten zwangsläufig „ins Oszillieren zwischen gegensätzlichen, aber gleichermaßen plausiblen Polen“. ImUnterschied zu Konzepten der gesell- schaftlichenModerne, die auf Reduktion der Widersprüche und Herstellen von Eindeutigkeiten setzen, versuchen Kon- zepte der gesellschaftlichen Postmoder- ne „Widersprüchlichkeit zu akzeptieren und Differenzen nicht nur auszuhalten, sondern sie auch nutzbar zu machen“ (vgl.Wirth, S. 38). Folgen wir der Grundmelodie dieses Bu- ches, dann scheint imSlogan des IfS„Wir helfenWEITER“ dieser postmoderne An- satz vorweggenommen zu sein: Hilfe wird hier nicht als einmaliges statisches Moment, als eine Ausnahmeaktion ver- standen, sondern als Assistenz in einem zirkulären bzw. elliptischen Prozess, der zu bestimmten Zeiten einer Intervention bedarf, um das Streben nach Selbstrea- lisierung zu unterstützen. Dass es sich um eine Selbstrealisierung angesichts des Anderen handelt, braucht nicht ei- gens erwähnt zu werden. Heteronomie und Autonomie sind ohne Bezugnahme aufeinander sinnlose Kategorien. ● Jan Volker Wirth Helfen in der Moderne und Post- moderne. Fragmente einer Topographie des Helfens. Carl Auer Verlag, Heidelberg 2005 ISBN 978-3-89670-349-1 Helfen in der Moderne und Postmoderne Eine Buchrezension Heilen manchmal, lindern oft, zuhören immer. Louis Pasteur Dr. Michael Schmid Leiter IfS-Beratungsdienste michael.schmid@ifs.at

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