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www.ifs.at Seite 9 Eine der frühesten Patientinnen von Sigmund Freud bat diesen während ei- ner Konsultation, er möge sie doch nicht dauernd unterbrechen und sie ausreden lassen, damit sie das erzählen könne, was sie zu erzählen habe.„Und das habe ich getan“, merkte Freud an. Damit begann, wenn man so will, eine neue, moderne Heilmethode: Der Arzt (Freud) legte seinen Arztkittel des Im- mer-Schon-Bescheid-Wissens ab. In gleicher Weise wird der Patient aufge- wertet mit dem Interesse an seinem Bericht über seine Beschwerden. Eine neue Profession entwickelte sich, eine bei der „man nicht mehr Arzt zu sein braucht, und Priester nicht mehr sein darf“ (Freud). Es ist der Beruf des Psy- choanalytikers, den ich hier als Prototyp (Mutter?) aller modernen Psychothera- pie betrachte. Das Neue ist frappant: Der Patient wird nicht mehr auf seinen Körper reduziert. Der Therapeut hört sein Gegenüber auch nicht mehr daraufhin ab, ob (und wie viele) Kriterien er von einem vorher festgelegten Krankheitsbild erfüllt. Das neue Interesse gilt der Besonderheit des jeweiligen Individuums, das einem gegenübersitzt. Mit einer nicht-werten- den Einstellung zum Selbst des Patien- ten versucht man diesem zu helfen. Das Ziel von Psychotherapie (in denWor- ten von Freud) liegt darin, „das hysteri- sche Elend in das allgemeine Unglück zu überführen“. Es geht darum, dem Mehr an Leiden und Einschränkungen, welches psychische Erkrankungen (u.a.) auszeichnet, reflektierend zu begegnen. Um dann – ein letzte Mal Freud – „mit demwiedergenesenen Seelenleben sich besser zur Wehr zu setzen“. Philoso- phisch betrachtet gelangte das Projekt der Aufklärung damit beim einzelnen, besonderen Menschen an. Autonomie durch Selbsterkenntnis ist die Leitlinie dieser neuen Art zu helfen. Freilich bedurfte es zum Erfolg der Psychotherapie auch spezieller gesell- schaftlicher Bedingungen. Psycholo- gisch gesehen setzte eine Freisetzung des Einzelnen ein. Nicht mehr die Fa- milie, nicht die dörfliche Gemeinschaft, nicht der Berufsstand und auch nicht die Religionszugehörigkeit waren ent- scheidend. Es wurde erkennbar und für immer mehr Menschen erlebbar, dass die Identität mehr ist als meine Stellung in der Familie oder im Arbeitsprozess. Die möglich gewordene Erfahrung von Einzigartigkeit und von Innerlichkeit ist also ein Ergebnis der Moderne. Freud lie- ferte mit seiner Entdeckung des persön- lichen Unbewussten ein erstes Konzept dazu. Diese Freisetzung hat ein Doppelge- sicht. Einerseits ermöglicht sie viel an Kreativität. Aber der einzelne „zur Frei- heit verurteilte Mensch“ (Sartre) ist da- mit auch tendenziell überfordert. Genau hier setzt die Psychotherapie mit ihren Angeboten an. Sie bietet zu einer be- stimmten Zeit für eine bestimmte Zeit einen Raum an, der in Begleitung eines Therapeuten zu einem Erfahrungs- und Möglichkeitsraum werden kann. Fern- ab von alltäglicher Kommunikation soll dem überforderten Menschen Gelegen- heit geboten werden, sein Innenleben neu zu organisieren. Und zwar durch die Entwicklung eigener (nicht allgemeiner, extrafamiliärer) Symbole in einer neuen Lebenserzählung. Ein Paradox vollzieht sich dabei täglich: Gerade die Fremd- heit des Therapeuten ermöglicht dem Gegenüber das Finden seiner eigenen, höchstpersönlichen Identität. Oder wie es eine Klientin ausdrückte: „Sie sind der erste Mensch in meinem Leben, der mich ernst nimmt und mir zuhört.“ Psychotherapie hat selbstverständlich auch nichts mit Beichte oder Geständ- niszwang zu tun. Ihr Ziel ist die Selbstbe- obachtung und eben nicht die Selbstkri- tik. Als professionalisierte Hilfeleistung mit entsprechender Ausbildung war die Motivierung des Therapeuten zum Hel- fen befreit vom Anspruch der guten Tat und – als stete Herausforderung – von persönlichen Wünschen und Bedürftig- keiten unabhängig. Das Helfen als Be- ziehungsarbeit sollte sich an den „Polen von freundlicher Distanz und nüchter- ner Güte“ (W. Gottschalch) vollziehen. Gefahren hat die neue Haltung auch, von denen zwei kurz erwähnt seien. Eine Gefahr liegt in einer möglichen Steige- rung des Narzissmus – „Was geht mich der Vietnamkrieg an; ich habe Orgas- musprobleme“. Die andere Gefahr liegt in einer möglichen Überstrapazierung dieses Modells: Sozialarbeit etwa bedarf anderer Modelle für die Erreichung ihrer Ziele. Eine Gefahr anderer Art bedroht aktuell die Psychotherapie. In Zeiten des Neo- liberalismus und der forcierten Zweck- rationalität ist das Projekt der Psycho- therapie als Selbstreflexion bedroht. Der dafür notwendige Aufwand an Zeit und Geld erscheint obsolet. Gefragt ist eine verbesserte Anpassungsleistung durch das Anzapfen neuer Energie- und Kraftreserven. Hier öffnet sich ein Kon- fliktfeld, bei dem es nicht nur um die Psychotherapie geht, sondern vor allem um die von ihr vertretene Ethik und Le- benskultur. ● Aussprechen lassen und zuhören Dr. Günther Krautgartner IfS-Psychotherapeut guenther.krautgartner@ifs.at

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