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9 Sommer 2013 haupt, nämlich die Frage: Wofür lebe ich? Im Falle des Odysseus ist ganz klar: Er lebt für Penelope. Nur weil er nie die Erinnerung an Pene- lope verliert, weil er nie seine Sehnsucht an sie verliert, beherrscht er das Irren so kunstvoll. Diese Antwort auf die Frage, wofür lebe ich, ist sozusa- gen die notwendige, aber auch die hinreichende Bedingung, dass das kunstvolle Irren klappt. Wofür lebe ich, ist dementsprechend auch eine Frage, die ich all meinen KlientInnen stelle und zwar schon ganz am Anfang. Und diese Frage ruft die unterschiedlichsten Reaktionen hervor. Sie ist eine hervorragende Methode, um herauszufinden, inwieweit man für das kunstvolle Irren schon hinreichend gerüstet ist. Oder ob es vielleicht nicht doch noch ein paar anderer Vorbereitungen bedarf. Odysseus sagt uns, dass wir nicht dann ein gelun- genes, sinnvolles Leben haben, wenn wir ständig versuchen, ihm hinterherzurennen, es zu berech- nen, aufzuschlüsseln, in Statistiken zu fassen, sondern nur, wenn wir uns wild entschlossen auf- machen zu erkunden, worin es besteht. Und auch, dass wir nur als aktive Gestalter, als engagierte Protagonisten unseres Lebens herausfinden kön- nen, worin die wahre Größe des Menschen besteht: Nämlich in seiner Gabe, immer wieder neu anfan- gen zu können, nach jedem (Un-)Fall aufzustehen und weiterzumachen. Das Leben ist voller Überraschungen Eins ist klar, wenn wir stets lösungsorientiert immer neue Ziele anpeilen, werden wir das Unvor- hersehbare, Krisen, Zäsuren, Orientierungslosig- keiten aller Art immer als Beleidigungen seitens des Schicksals, als Ungerechtigkeit und Strafe erfahren und nie als das, was solche Phänomene tatsächlich sind: Chancen, uns ein wenig besser kennenzulernen und zumindest ein bisschen mehr davon zu verstehen, was das Leben ist – nämlich voller Überraschungen. ○ Im Rahmen des Symposium, das anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Vereins ifs stattfand, sprach Dr. Antonia Rados, bekannte Auslandskor- respondentin und Kriegsberichterstatterin, über ihre persönlichen Erfahrungen in Krisen- und Kriegsgebieten sowie den Umgang von Reporter­ Innen mit unvorhersehbaren Ereignissen. Eine Erfahrung, die Rados während ihrer Aufent- halte im Ausland machte, ist jene, dass Alleinsein offenbar das Schlimmste ist, das man sich in Krisen- und Kriegs- gebieten vorstellen kann. Deshalb organisieren sich ReporterInnen, wenn sie sich an solche Orte aufmachen, instink- tiv in Gruppen. Die Gruppe bietet Schutz, hat aber zugleich ihre Tücken. Denn die Tatsache, dass Menschen völlig unterschiedliche Ängste zu völlig unterschiedlichen Zeitpunkten haben, stellt Fernsehteams in Krisengebieten vor uner- wartete Herausforderungen. Neben der eigenen „Unvorhersehbarkeit“ muss man zudem jene des anderen miteinberechnen. Rados beschrieb, wie ihr Teammit den verschiedenen Ängsten umgeht, warum sie überhaupt Risiken eingehen und dass es ein gesundes Maß an Vorsicht und Rationalität braucht, um zu überleben. Zudem ist sich Rados sicher, dass uns diese Angst vor dem Alleinsein allen gemeinsam ist – egal welcher Herkunft wir sind. Und dass wir alle lieber die Nachteile der Gruppe akzeptieren, als irgendwo alleine das Unvorhersehbare zu konfrontieren. ○ Dr. Antonia Rados Auslandskorrespondentin und Kriegsberichterstatterin Allen gemeinsam ist die Angst vor dem Alleinsein. Wenn ReporterInnen in Krisengebiete aufbrechen Dr. Rebekka Reinhard Philosophische Beraterin in eigener Praxis sowie im klinischen Bereich „Alle unsere Ängste sind universell. Die Afghanen, die Iraner, die Iraker – sie alle haben genau dieselben Ängste wie wir.“

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