ifs_zeitschrift_1_14_sc
26 Kolumne Es ist wahrlich ein Kreuz mit der Wahl. Selten zuvor in der Geschichte hatten Menschen mehr Wahlmöglichkeiten. Oder standen Sie noch nie vor dem Joghurtregal im Supermarkt? Oder im Kleidergeschäft in der Hemden-, Hosen- oder Blusenabteilung? Oder fällt es Ihnen leicht, im Reisekatalog auf Anhieb die richtige Ferienwoh- nung zu finden? Oder im Internet? Es soll sogar Paare geben, die sich in der Zeit der Urlaubspla- nung nur per E-Mail oder SMS verständigen, weil einer von ihnen Tag und Nacht am PC sitzt und das schönste, am besten ausgestattete und doch preisgünstigste Angebot sucht. Und dabei schier verzweifelt. Auf einem anderen Gebiet hat Wählen ja mit einem zutiefst demokratischen Prozess zu tun. Zumindest in unseren Breiten. Wenigstens alle paar Jahre ist es uns vergönnt, Parlamente oder Interessensvertretungen zusammenzusetzen. Warum immer mehr Menschen auf dieses Recht verzichten, ist mir ehrlich gesagt ein großes Rät- sel. Zumindest bei der letzten Wahl scheinen aber einige Politiker ob der geringen Wahlbeteiligung Peter Kopf Leiter ifs Schuldenberatung peter.kopf@ifs.at doch aufgeschreckt worden sein. Vielleicht hilft’s ja doch und die Politik wird wenigstens wieder so attraktiv, dass die Bevölkerung wieder mit- entscheidet, wer sie vertreten soll und wer nicht? Immer noch wird die Wahlverdrossenheit von vie- len mit dem Angebot der zu Wählenden und den entsprechenden Alternativen erklärt. Aber auch auf anderen Gebieten gibt es Menschen, denen die Wahlmöglichkeiten fehlen. Fragen Sie einen Kranken, was er am liebsten möchte. Die Antwort wird wohl ganz schnell und eindeu- tig ausfallen: Gesund werden. Oder fragen Sie jemanden, der wegen seiner Beziehungsprobleme in einem psychischen Tief steckt, was er sich wünscht. Oder einen Schüler, der von seinen Mit- schülern gemobbt wird. Oder einen Menschen mit einer körperlichen Beeinträchtigung, der ohne Hilfe keine Stiege erklimmen kann. Oder einen Schuldner, der ständig in der Angst vor dem Besuch des Gerichtsvollziehers lebt und der sich große Sorgen vor der nächsten Rechnung fürs Heizöl macht. Diese Beispiele könnten noch lange fortgesetzt werden. Es scheint, als ob Menschen, die sich in einer Aus- nahmesituation befinden, ihre Wahl viel schneller treffen können als Menschen, die im Überfluss leben. Und hier würde ein Grenzgang gut tun. Wer sich mit den eingeschränkten Wahlmöglichkeiten jener befasst, die froh darum wären, überhaupt eine zu haben, der könnte seine Probleme mit zu viel Auswahlmöglichkeit leicht zum Luxusproblem erklären. ○ Das Kreuz mit der Wahl Je größer die Auswahl desto schwieriger die Entscheidung
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy NTQ2MDY0