ifs_zeitschrift_1_14_sc

wie 6 Man sagt, wer die Wahl hat, hat die Qual. Warum eigentlich? Wir alle verbinden doch mit Wahlfrei- heit etwas Positives und dennoch ist es oft eine Qual, es auch zu tun. Was man nicht selten in den alltäglichen „Pathologien“ des Vermeidens und Umgehens wiederfinden kann oder auch in den Versuchen, getroffene Entscheidungen wieder rückgängig zu machen. Der Fachbegriff für den zwanghaften Aufschub heißt Prokrastination. Der Aufschub geht einher mit der quälenden Vorstellung, das Falsche zu tun. Nicht die Wahl selbst macht uns Bauchweh, sondern der mit ihr verbundene Verlust der Alter- native. Er koppelt die Wahl an die Trauer als Form seiner Bewältigung. Entscheidung gegen eine Option Freud misst der Trauerarbeit in seinemWerk „Trauer und Melancholie“ für die Freiheit des Subjekts einen hohen Stellenwert zu. Er schreibt: „Tatsächlich wird aber das Ich nach der Vollendung der Trau- erarbeit wieder frei und unge- hemmt. Die Realitätsprüfung hat gezeigt, daß das geliebte Objekt nicht mehr besteht, und erläßt nun die Aufforderung, alle Libido aus ihren Verknüp- fungen mit diesem Objekt abzuziehen. Dagegen erhebt sich ein begreifliches Sträuben — es ist allgemein zu beobachten, daß der Mensch eine Libidoposi- tion nicht gern verläßt, selbst dann nicht, wenn ihm Ersatz bereits winkt. Dies Sträuben kann so intensiv sein, daß eine Abwendung von der Reali- tät und ein Festhalten des Objekts durch eine hal- luzinatorische Wunschpsychose zustande kommt. Das Normale ist, daß der Respekt vor der Realität den Sieg behält.“ Unterbrechen wir hier Freuds Begründung der Trauer und halten fest, dass jede Wahl eine Ent- scheidung gegen eine Option bedeutet, und dass dieser „Verlust“ einer psychischen Verarbeitung bedarf. Diese Form der Verarbeitung muss man abgrenzen von nicht geleisteter Trauerarbeit, wie wir sie in Melancholie oder Depression finden. Das Paradox der erzwungenen Wahl Ein treffendes Beispiel für die Zwangscharaktere der Wahl finden wir im Paradox der erzwungenen Wahl, die zum Beispiel in dem Befehl besteht, freiwillig den Eid auf die National- flagge abzulegen. Das nicht auf den ersten Blick erkennbare Para- dox zeigt sich darin, dass das Sub- jekt nicht die Frei- heit hat, zu wählen, ob es den Eid auf die Fahne ablegen will oder nicht, sondern gezwungen ist, freiwillig zu schwören, und dass genau darin seine Freiheit liegt. Die Situation der erzwungenen Wahl zeigt zwei Möglichkeiten auf, Freiheit zu definieren. Freiheit als absoluten Begriff, als Menschenrecht, das sich ableitet aus einem universellen Humanismus, der zu Rechtsvorschriften führt, die dieses Verständ- nis von Freiheit garantieren. Die Bedingung der Freiheit besteht in diesem Fall in der Abwesenheit von Zwang. Die andere Möglichkeit wäre, das Sub- jekt als Bedingung für die Freiheit anzusetzen. Dann allerdings muss man sich fragen, ob das menschliche Subjekt überhaupt frei sein kann, wo es doch nicht über sich selbst verfügen kann, da es aus einem Akt hervorgeht, den es nicht selbst verursacht, von Anbeginn dem Anderen, nennen wir ihn das symbolische Gesetz, unterworfen ist. Der Begriff Freiheit hat daher zwei Seiten: Freiheit von etwas und Freiheit zu etwas, z.B. für die Mög- lichkeit der Wahl. Das Paradox der erzwungenen Wahl fokussiert die Freiheit auf die Entscheidung des Subjekts zwischen zwei Alternativen: Entwe- der/oder. Geld oder Leben! Keine Chance, nicht zu Wahl -Freiheit Der Mensch zwischen Anpassung und Widerstand, zwischen Selbst- und Fremdbestimmung „Der Aufschub geht einher mit der quälenden Vorstel- lung, das Falsche zu tun. Nicht die Wahl selbst macht uns Bauchweh, sondern der mit ihr verbundene Verlust der Alternative.“ „Entweder/oder. Geld oder Leben! Keine Chance, nicht zu wählen! Wähle ich das Leben, verliere ich das Geld. Wähle ich das Geld, verliere ich beide, Geld und Leben.“

RkJQdWJsaXNoZXIy NTQ2MDY0