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wie 10 Ungezählt sind die Stunden der Verzweiflung, die Löcher der Einsamkeit, des Schmerzes, der an mir zerrte, als wäre ich in der Folterkammer auf eine Streckbank gespannt. Ich habe auch diesen Teil der Trauer akzeptiert, und ich weiß heute, dass er wichtig ist, weil unser Körper seine eigenen Ventile braucht, weil er sucht, sehnt und brüllen muss. Mein Schmerz hat mir fast den Verstand geraubt, und hat mich doch, immer wieder, geer- det, geklärt, zur Besinnung gebracht. Mitten im Schmerz war ich ganz und gar auf mich selbst zurückgeworfen. Meine Tochter, meinen Mann und meinen Sohn habe ich während dieser Trau- erwehen nicht gespürt. Es scheint mir so, als müssten selbst die Toten einen Schritt zurück- treten, wenn ein Mensch gerade in unbändigen Schmerzen tobt. Natürlich sind sie nicht weit weg. Sie warten geduldig, und kaum haben wir uns beruhigt, reichen sie uns wieder die Hand. In der Ruhe nach dem Sturm können wir ihre Berührung spüren – auf neue, erfrischende Art, immer wieder so, als wäre es das erste Mal. Einander die Hand geben, das fühlt sich ganz anders an, als Händchen zu halten. Einander neu zu begegnen, das ist pri- ckelnd, aufregend. Und wunderschön. Abschiede, Trennungen, sie sind nötig, um einen Schritt zurückzutreten. Der brennende Schmerz gehört dazu. Er wirft uns auf uns selbst zurück, und von da, aus unserer Mitte, können wir den Menschen, die wir lieben, wieder neu begegnen, neugierig, als wäre es wieder einmal das erste Mal. Erst der Abschied macht es möglich, neu zu sehen und wieder zuzuhören. Auszusteigen aus der Trance des allzu Vertrauten. Abschiedlich leben , so nennen es die Philosophen. Für mich heißt das heute: Zweisamkeit ebenso auszukosten wie die Zeit mit mir selbst, in der ich mich für neue Begegnungen erfrische. Dankbar zu sein und aus geteilter Wertschätzung dessen, was war, ein haltbares Band zu knüpfen, das jede körperliche Trennung übersteht. Und Verantwortung zu übernehmen, für ein Leben, das begrenzt ist und mir so, wie es ist, einzigartige Chancen bietet. Ein Leben, dessen Kern mir nicht verloren gehen kann, weil auch der Rosenstock imWinter, selbst wenn man ihn bis zum Boden stutzt, immer noch ein Rosenstock ist. Ein Leben, dessen Blüten- duft ich dennoch stau- nend inhaliere, imWis- sen, dass sich jede Blüte, jeder Sommer und jede einzelne Begegnung nur einmal in einzigartiger Weise verschenkt. ○ Barbara Pachl-Eberhart Schriftstellerin, Dialogbegleiterin und Schreibcoach Zur Person Barbara Pachl-Eberhart war Clown. Sie hat bei einem Zugunglück ihre beiden klei- nen Kinder und ihren Mann verloren. Mit beeindruckender Kraft fand sie ins Leben zurück und schrieb über ihre Tragödie einen Bestseller („Vier minus drei“). Heute arbeitet sie als Schriftstellerin, Dialogbegleite- rin und Schreibcoach in Wien. „Mein Schmerz hat mir fast den Verstand geraubt, und hat mich doch, immer wieder, geerdet, geklärt, zur Besinnung gebracht. Meine Tochter, meinen Mann und meinen Sohn habe ich während die- ser Trauerwehen nicht gespürt. Es scheint mir so, als müssten selbst die Toten einen Schritt zurücktreten, wenn ein Mensch gerade in unbän- digen Schmerzen tobt.“

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