ifs_zeitschrift_1_15_sc
15 Frühling 2015 Das ist jetzt acht Jahre her. Auch wenn es noch immer nicht ganz vorbei ist, wie ist es Ihnen gelungen, Abstand zu erlangen? Wann hatten Sie das Gefühl, es „geschafft“ zu haben? Nein, es ist immer noch nicht vorbei. Meine Toch- ter leidet immer noch an Angst. Sie nimmt seit acht Jahren Medikamente, kann ohne Schlaf- tabletten nicht schlafen. Mein Exmann hat immer wieder versucht, unsere Tochter mit in unser Hei- matland zu nehmen, damit er den Unterhalt nicht mehr bezahlen muss. Allein wegen des Unterhalts haben wir drei, vier Jahre lang einen Prozess geführt. Auch wenn er mich jetzt nicht mehr schlägt, muss ich mich doch immer wieder mit ihm auseinandersetzen, weil er ständig neue Prozesse gegen mich anfängt. Das ist eine große Belastung für mich, weil dann auch wieder die Erinnerungen kommen. Aber ich würde mein jet- ziges Leben niemals gegen mein altes eintauschen. Es ist schön und vor allem befreiend, ein gewalt- freies Leben führen zu können. Sehen Sie ihren Mann noch hin und wieder? Er kommt immer wieder in unsere Straße. Er wollte mich und meine Tochter aus unserem Haus vertreiben. Seit fast drei Jahren läuft nun ein anderer Prozess, in dem er 125.000 Euro als Ent- schädigung verlangt, da ich das Haus behalten habe. Aber es ist ein sehr altes Haus. Trotzdem ver- langt er so viel Geld. Wir hoffen jedes Jahr, dass es in beiden Ländern keine neuen Prozesse mehr gibt. Ich habe die Hoff- nung noch nicht aufgegeben. Aber wir wissen es nicht. Überraschungen gibt es immer wieder. Mein Exmann kommt regelmäßig bei uns vorbei, auch als damals ein Verbot erlassen wurde, nicht mehr in unsere Straße zu kommen. Einmal kam er in der Nacht. Er hat gesehen, dass ich bei meinem Sohn war, ist mit einem Anhänger gekommen und hat etwas von unserem Hof genommen. Gott sei Dank hat es die Nachbarschaft bemerkt und die Polizei gerufen. Ich hatte wieder schreckliche Angst. Warumwar die Beratung für Sie so wichtig? Die Situation war schlimm. Ich hatte keinen Mut, alles zu erzählen. Keiner unserer Bekannten hat gewusst, was bei uns zu Hause passiert. Wir haben immer die glückliche Familie gespielt. Wenn der Besuch weg war, begann dann wieder das wirk- liche Leben. Heute tut es mir leid, dass ich nicht früher gehan- delt habe – nicht wegen mir, sondern wegen meiner Tochter. Sie hätte die Gewalt nicht jahre- lang erleben sollen. Für Kinder ist es besonders schlimm. Es ist besser, ohne Vater aufzuwachsen. Ich war immer der Meinung, dass ich eine schwa- che Frau bin. Aber dass ich durch die Beraterin an der Gewaltschutzstelle Hilfe erhalten habe, hat mir sehr viel Mut gemacht. Dank der Beratung habe ich entdeckt, wie viel Kraft und Stärke in mir steckt. Ohne diese Hilfe würde ich heute immer noch unter meinemMann leiden. Denn ich hatte kei- nen Mut, von meiner Situation zu erzählen. Ich glaubte immer, alleine zu sein. Auch mein Sohn ist Teil meines Mutes. Ich konnte mit meiner Tochter immer wieder zu ihm gehen. Wäre ich zu Bekannten gegangen, hätte ich alles erzählen müssen. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass man Frauen wie mir häufig nicht glaubt. Mein Exmann kann sehr gut lügen. Als ich die Scheidung ein- reichte, haben sich Bekannte auf die Seite meines Exmannes gestellt, obwohl sie ihn ziemlich gut kennen und wissen, was für ein Mensch er ist. Sie sagten mir, ich solle unsere Familie nicht zerstö- ren, unserer Tochter nicht den Vater wegnehmen. Viele konnten nicht verstehen, was ich und meine Kinder erlebt haben, wie unser Leben war. Es war schwierig aus dem Gewaltkreislauf auszubre- chen und auch heute ist die Situation manchmal noch schwierig. Aber mit Hilfe und Unterstützung, wie man sie in der Gewaltschutzstelle erhält, lassen sich diese Schwierigkeiten meistern. End- lich können meine Kinder und ich ein Leben ohne Gewalt führen. Vielen Dank für das Gespräch. ○ Wissen ifs Gewaltschutz- stelle ist eine gesetzlich anerkannte Opferschutzeinrichtung, die in schwierigen Situationen Unter- stützung und Hilfe anbietet. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter informieren, beraten und begleiten Personen, die von Gewalt in der Familie oder in ihrem nächsten Umfeld betroffen sind. Telefon 05-1755-535 gewaltschutzstelle@ifs.at „Ohne diese Hilfe würde ich heute immer noch unter meinem Mann leiden. Denn ich hatte keinen Mut, von meiner Situation zu erzählen. Ich glaubte immer, alleine zu sein. Auch mein Sohn ist Teil meines Mutes.“
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy NTQ2MDY0