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wie 18 damit treten ungelöste Konflikte, Kränkungen, belastende Gefühle und offene Fragen in den Vor- dergrund. Mit Blick auf das näher rückende Ende des Lebens drehen sich die Gedanken häufig um Themen wie Tod, Abschied, Trauer und Schuld. Der aktive, alles selbst organisierende und für andere sorgende Mensch braucht nun Hilfe und Unterstützung. Diese Tatsache zu akzeptieren, fällt oft schwer. Und es ist schwierig zu lernen, vom „Gebenden“ zum „Nehmenden“ zu werden. Viele alte Menschen haben das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden. Und häufig sind mit der neuen Lebenssituation Gefühle wie Unsicherheit und Trauer über den Verlust der eigenen Fähig- keiten verbunden. Aber auch Aggressionen, Wut, Resignation und Rückzug können Folgen dieser Lebenswende sein. Verantwortung übernehmen Auch Bezugspersonen des alten Menschen – vor allem die Kinder – sind von der neuen Situation betroffen. Sie erkennen, dass ihre Eltern ohne Unterstützung nicht mehr in der Lage sind, ihr Leben zu meistern. Und doch fällt es vielen Ange- hörigen nicht leicht, das „Geben und Nehmen“ in der Familie neu zu organisieren, zu akzeptieren, dass die alten Rollenbilder so nicht mehr stimmen und auch nicht mehr funktionieren. Die Kinder sind vom Rollentausch mit betroffen, galten sie doch jahrelang „von Natur aus“ als Nehmende, während ihre Eltern sich um sie kümmerten. Nun erleben Angehörige, dass sie zunehmend zum Gebenden werden und Verantwortung für bestimmte Bereiche im Leben des alten Menschen tragen müssen. Kinder spüren das Bedürfnis ihrer Eltern nach Nähe und Zuwendung. Trotzdem fällt es schwer, diesem Bedürfnis gerecht zu werden. Zumeist haben sie selbst nur wenig Zeit und Kraft, sich in ihrer „aktiven“ Lebensphase solch belastenden Themen zu stellen. Oft werden diese verdrängt und ausgespart. Es ist aber wichtig, dass Ange- hörige sensibel sind und das richtige Maß an „Im Alter wird alles anders!“ AmWahrheitsgehalt dieses Satzes hat Frau S. lange Zeit gezweifelt, war sie doch eine rüstige Rentnerin, die ihren Haushalt in Schuss halten und für sich selbst sorgen konnte, sich gerne mit Freundinnen traf, sogar noch wandern ging. Und doch schlichen sich kör- perliche Beschwerden in ihren Alltag ein. Anfangs ließen sich diese noch gut verbergen – beimWandern ein bisschen langsamer gehen, heute einmal aufs Staubwischen verzich- ten. Doch dann machten ihr die Ärzte unmissverständlich klar: Aus Rücksicht auf ihre Gesundheit müsse sie unbe- dingt kürzer treten. Plötzlich war Frau S., die ihr Leben lang auf eigenen Beinen stand, auf Hilfe angewiesen. Und damit sahen sich auch ihre Kinder mit einer völlig neuen Situ- ation konfrontiert. Wer hat Zeit, zu helfen? Wer kann was übernehmen? Wie lassen sich Beruf, die eigene Familie und eine pflegebedürftige Mutter vereinbaren? Vom Gebenden zumNehmenden Altern ist ein biologischer Prozess, der sich nicht aufhalten lässt. Körperliche und auch geistige Kräfte lassen nach und führen dazu, dass der alte Mensch mehr und mehr auf Unterstützung angewiesen ist. Soziale Kontakte werden immer weniger, denn die Kinder sind schon lange aus dem Haus und wohnen nicht selten weit weg. Partner und Freunde sind krank oder mitunter bereits ver- storben. So ist der alte Mensch oft alleine und es bleibt ihm viel Zeit nachzudenken. Die eigene Familie wird aufgrund der Hilfsbedürf- tigkeit wieder zum zentralen Lebensinhalt und Doppelte Lebenswende Die Pflegebedürftigkeit alter Menschen bringt sowohl für den Betroffenen selbst als auch für dessen Angehörige eine völlig neue Lebenssituation mit sich. Worte eines 85-Jährigen Danke, dass es Menschen gibt, die alte Menschen mögen. Danke an diejenigen, die Verständnis haben für meine müden Füße und meine unge- schickt gewordenen Hände, die mitfühlen, welche Anstren- gungen es meine Ohren kostet, jedes Wort zu verstehen, die begreifen, dass mein Sehver- mögen nachgelassen hat und mein Denken langsamer gewor- den ist, die mir Zeit schenken, ummit mir zu reden, die mir niemals sagen: das hast du mir schon einmal erzählt, die verstehen, vergangene schöne Zeiten in meinem Gedächtnis auf- leben zu lassen, die mich spüren lassen, dass ich geliebt und geschätzt werde und nicht vergessen bin. ○

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