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wie 6 Lieber Abschied, sei willkommen ! Bestsellerautorin Barbara Pachl-Eberhart über die Kunst, in Liebe loszulassen Selten sprach ich mit meinemMann über den Tod. „Weißt du was?“, sagte ich eines Abends zu ihm, „Wenn es ganz sicher wäre, dass du bald sterben musst, dann wüsste ich nicht, wie ich noch einen einzigen Moment lang fröhlich mit dir sein sollte. Es wäre schrecklich, ich könnte nie wieder mit dir lachen. Ich könnte nichts anderes mehr als trau- rig sein.“ Ja, auch das habe ich gesagt, an einem Frühlingsabend vor etwa sechs Jahren. Ich kann mich noch gut an das Gespräch erinnern. Was ich damals nicht wusste: Wenige Tage später sollte mir das Leben die brutalste und zugleich wert- vollste Lektion meines Lebens erteilen. Eine Lektion, die mein Verhältnis zum Tod, zu Abschieden, Schmerz und Trä- nen grundlegend auf den Kopf gestellt hat. Eine Lektion, deren unschätzbaren Wert ich erst nach und nach zu verstehen lernte und bis heute bestimmt noch nicht ganz erfasse. Niemals hätte ich diese Lek- tion freiwillig gewählt – es gehört zu der großen Paradoxie meines Lebens, dass ich für die innere Freiheit und beinahe ungebremste Lebendigkeit, die mir heute geschenkt ist, einen Preis bezahlen musste, der mir noch immer beinahe unbegreiflich scheint. Vor sechs Jahren, am Gründonnerstag 2008, wur- den mein Mann, mein Sohn und meine kleine Tochter sehr plötzlich, ohne Vorankündigung aus dem Leben abgeholt. Ein Zug an einem unbe- schrankten Bahnübergang katapultierte sie nach drüben, ins Leben nach dem Leben. Man könnte auch sagen: in den Tod. Ich sage das auch: „Tod“. Ich habe kein Problemmehr mit diesemWort. Tod und Leben, Abschied und Anfang: ein Gegensatz? Ich glaube das heute nicht mehr. War es Zufall, dass der Tag, an dem der Tod mir die Augen, das Herz und die Tür zum Himmel aufschloss, ausge- Leben und Sterben, Abschied und Neubeginn. Gern nennen wir diese Wortpaare in einem Atem- zug. Sie gehören zusammen – und doch vergessen wir oft, dass Tod und Abschied tatsächlich zum Leben gehören. Haben wir es nötig, den Tod aus dem Leben zu verdrängen, um uns glücklich zu fühlen? Oder könnte es möglich sein, in Freund- schaft mit dem Abschied, vielleicht sogar in inniger Beziehung mit dem Tod Lebendigkeit und Glück zu erfahren? Ein Plädoyer für die Freude am Leben angesichts der Vergänglichkeit der Existenz. Mit dem Tod habe ich nichts zu schaffen. Bin ich, ist er nicht. Ist er, bin ich nicht. Dieser Satz stammt von Epikur, einem großen Philosophen der grie- chischen Antike. Wenn ich mir seine Worte auf der Zunge zergehen lasse, kann ich nicht umhin zu denken: Sie klingen nicht alt, sondern ziemlich modern, fast so als stünden sie für den Zeitgeist einer ewig jungen Generation. „Mit dem Tod habe ich nichts zu schaffen.“ Ich gebe es zu: Dieser Satz hätte auch von mir sein können. Weil ich es – zumindest noch vor ein paar Jahren – tatsäch- lich glaubte. Was? Dass der Tod weit weg ist. Und dass er noch sehr, sehr lange nichts mit mir und meinem Leben zu tun haben wird. Wann stirbst du, Mama?, hat mich mein Sohn ein- mal gefragt. Ich wollte eine gute Mama sein, wollte mein Kind nicht unnötig verunsichern. „Noch lange nicht, Thimo. Erst wenn ich alt bin und dir schon auf die Nerven gehe, weil ich gar nicht mehr leben will. Wenn ich müde bin und so große Schmerzen habe, dass wir alle froh sind, wenn der Tod mich erlöst. Dann sterbe ich.“ Das wird traurig sein , sagte mein Sohn. „Ja. Aber nicht so schlimm wie du denkst.“ So tröstete ich mein Kind – oder, besser: mich selbst. Der Tod ist alt, der Tod ist grau, zittrig und schwach, und auf jeden Fall: nicht da, wo ich bin. So hatte ich, eine junge Mutter in ihren „besten Jahren“ mit höllischer Angst vor Tränen, Krankheit und Schmerz, es mir bequem zusammengereimt. „Wenige Tage später sollte mir das Leben die bru- talste und zugleich wert- vollste Lektion meines Lebens erteilen.“

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