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15 Frühling 2016 Dieselben Regeln?! Ein Gastkommentar Die Debatte über bettelnde Menschen in Vorarl- berg spitzt sich im Frühjahr erneut zu. Land und Städte sind sich einig, dass keine Unterstützung angeboten wird und Verstöße gegen die geltenden Bestimmungen restriktiv geahndet werden. Die Dienstreise nach Rumänien scheint hier von hohem Erkenntniswert gewesen zu sein: „Für Roma müssen ausnahmslos dieselben Regeln gel- ten, wie für Einheimische, alles andere führt zu schweren Akzeptanzproblemen“ heißt es dazu in den „lessons learned“. Die Vorstellung, dass sich „die Roma“ nicht an Regeln und Gesetze halten können oder wollen und sich ihre Wertvorstellungen grundlegend von den unseren unterscheiden würden (arbeitsscheu, bildungsfeindlich etc.), gehört zu den bestimmen- den rassistischen Vorurteilen, die in den europä- ischen Gesellschaf- ten damals wie heute zu Diskrimi- nierung, sozialem Ausschluss und Ver- folgung führ(t)en. Würden für „die Roma“ überall dieselben Regeln gelten wie „für Einheimische“, dann gäbe es wahr- scheinlich keine Debatte über bettelnde Roma. In Vorarlberg und in den anderen Bundesländern ebenso hat sich in den letzten Jahren ein Wirr- warr von Bestimmungen entwickelt, die das Bet- teln, das vom Verfassungsgerichtshof eigentlich als Grundrecht bestätigt wurde, möglichst weit einschränken. Aufgrund dieser Gesetze werden bettelnde Men- schen für Verhaltensweisen bestraft, die für „die Einheimischen“ selbstverständlich sind. Während Personen, die für Umwelt- oder Tierschutzorgani- sationen um Spenden werben, selbstverständlich Passantinnen und Passanten im öffentlichen Raum ansprechen dürfen, werden Bettelnde schon wegen „aufdringlichen und aggressiven Bettelns“ bestraft, wenn sie nur die Hand ausstrecken und „Bitte“ sagen. Der Kontakt zur eige- nen Familie und zu Bekannten und die gegenseitige Unterstützung werden betteln- den Menschen zum Verhängnis, weil sie dann als „organisierte Gruppe“ gelten und dafür Verwal- tungsstrafen bekommen. Die Strafen in Höhe von meist mehreren hundert Euro sind unverhältnis- mäßig hoch, die Ersatzfreiheitsstrafen verletzen das Recht auf Freiheit. Für wen sonst gelten solche Regeln? Wer sonst ist einer derartigen Willkür und Schikanen ausge- setzt? Sicher nicht „die Einheimischen“. Die jedoch sollten sich längst fragen, wie es um die eigenen Werte steht: Rechtstaatlichkeit, Gleichbehand- lung, Solidarität und die christliche Nächsten- liebe werden für die Illusion geopfert, sich durch Repression den Anblick armutsbetroffener Men- schen ersparen zu können. ○ „Die Vorstellung, dass sich ‚die Roma‘ nicht an Regeln und Gesetze halten können oder wollen und sich ihre Wertvorstellungen grund- legend von den unseren unterscheiden würden, gehört zu den bestim- menden rassistischen Vorurteilen.“ Mag. Ferdinand Koller Pädagogischer Leiter Romano Centro ferdinand.koller@romano-centro.org Zur Person Mag. Ferdinand Koller engagiert sich seit 2009 ehrenamt- lich bei der BettelLobby Wien für die Rechte bettelnder Menschen. Hauptberuflich arbeitet er als Pädagogischer Leiter bei Romano Centro – Verein für Roma.
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