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wie 28 Ein grundsätzliches Hinterfragen Neben den kulturellen Unterschieden, die vor allem die Sozialisation dieser Jugendlichen er- schweren, stellt die Beziehungsarbeit eine große Herausforderung dar. Junge Männer aus Ländern wie zum Beispiel Afghanistan oder dem Iran wachsen – meist aufgrund von Armut – selbst- ständiger und autonomer auf. In diesen Ländern ist es gang und gäbe, dass Kinder ab einem Alter von zehn Jahren lediglich den halben Tag zur Schule gehen und die andere Hälfte des Tages arbeiten, um die Familie zu unterstützen. Es fällt ihnen deshalb sehr schwer, zu verstehen und in weiterer Folge zu akzeptieren, warum bzw. dass sie eine Betreuungsperson an der Seite haben. Diese jungen Männer treten einemmit einer Grundskep- sis entgegen und hinterfragen auch grundsätzlich alles, was gemacht und vorgeschlagen wird. Sie sind es gewohnt, persönliche Ange- legenheiten eigen- ständig zu erledigen und Probleme mit sich selbst auszumachen. Es ist ein langer Prozess, gegenseitiges Vertrauen aufzubauen. Ist es jedoch gelungen, ihnen Kontinuität und Beständigkeit zu vermitteln, können sie Vertrauen fassen und einen Schritt in unsere Richtung machen. Wichtig ist, dass wir den individuellen Blick nicht verlieren und die kleinen Schritte erkennen und wertschätzen. Mit den Jugendlichen gemeinsam auf demWeg zu bleiben und „unterwegs“ zu sein, klingt in vielen Ohren abgedroschen und lapidar. In der täglichen Arbeit mit pubertierenden Mäd- chen und Jungs ist diese Haltung jedoch grund- legend und wichtig, da wir ihnen dadurch Boden und Stabilität (mit)geben. ○ Sabine Burtscher ifs Ambulant betreutes Wohnen sabine.burtscher@ifs.at Wissen ifs Ambulant betreutes Wohnen eröffnet Jugendlichen in eigens angemieteten Woh- nungen die Möglichkeit, ein selbständiges Leben unter fachlicher Betreuung zu erproben. Die Jugendlichen erhalten Unterstützung in ihrer persönlichen Entwick- lung, insbesondere bei der Gestaltung und Bewältigung ihres Alltages. Zeit um unterwegs zu sein Wandel bedeutet Veränderung Unterwegs zu sein drückt eine aktive Handlung aus, heißt auf demWeg zu sein – von einem Ort zum anderen, von einem Zustand zum anderen. Der Wandel ist ein ständiger Begleiter unseres Lebens. Dieser Wandel bedeutet Veränderung. Veränderung besteht oft darin, dass man etwas verliert oder loslassen muss und Neues entsteht, man Neues entwickeln kann. Alle diese Verände- rungen, diese Übergänge geschehen in mehreren Phasen von unterschiedlicher zeitlicher Dauer. Manchmal kann das Neue sehr schnell gelebt wer- den und manchmal gibt es zwischen dem Alten und dem Neuen einen Zeitabschnitt, für den es keinen Namen gibt. Das Alte ist noch nicht ganz abgeschlossen und das Neue braucht noch Zeit, um sich allmählich entwickeln zu können. Zeit ist subjektiv Zeit ist ein wesentlicher Bestandteil von Verän- derung. Aber: Wieviel Zeit gebe ich mir für eine bestimmte Aufgabe und wieviel Zeit wird mir dafür zugestanden? In unserer Gesellschaft wird Zeit zunehmend kostbarer. Sozialwissenschaftler beschreiben schon lange eine zunehmende Beschleunigung der Zeit in der Spätmoderne. 1 Dabei wird zum einen die Subjektivität des Zeiterlebens einfach ignoriert. Zum anderen nimmt der Druck zu, nach Krisen möglichst rasch wieder „der oder die Alte“ zu sein. Bereits 1990 beschrieb Luc Ciompi 2 die Bedeutung der Eigenzeit der Patienten bei der Behandlung, er beschreibt, dass das Langsame wichtiger sei als das Schnelle. Ein kleines Experiment Ich möchte Sie nun zu einem kleinen Experiment mit ihrer subjektiven Zeitwahrnehmung einladen. Nehmen Sie sich dafür zwei Minuten Zeit. Ich bitte Sie, sich eine bequeme Sitzhaltung zu su- chen. Stellen Sie ihre Füße auf den Boden, lockern Sie vielleicht noch einmal Ihre Schultern, atmen Sie tief ein und aus und stellen Sie sich vor, dass

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