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5 Frühling 2016 keine Störungen und Irritationen durch Flücht- linge. Selbst(für)sorge und Selbstoptimierung stehen im Kontrast zu den schwach und rechtlos Ankommenden! DAS – uns – FREMDE Die enthusiastische Aufnahme der Flüchtlinge in Österreich und Deutschland, die sich in der Willkommenskultur und in dem zivilgesellschaft- lichen Engagement der Helfer zeig(t)e, verdampft und weicht einer absoluten Ablehnung der Migran- ten durch Menschen, die die stille Mehrheit bilden und von den extrem politischen Rechten verein- nahmt werden. Den Neuankömmlingen werden unlautere und unehrenhafte Motive und Eigenschaften unter- stellt. Sie seien unersättlich, arbeitsscheu und unzufrieden, deshalb hätten sie bei uns nichts zu suchen und verdienen es, mit Verachtung bestraft zu werden. Ohne je mit einem der Menschen ge- sprochen zu haben, heißt es dann: „Die“ wollen nur unser Geld, sie lügen und sind gar nicht verfolgt, sind unverschämt fordernd und aufbrausend, stel- len Ansprüche (ohne sich hier etwas „verdient“ zu haben), sind schmutzig, undankbar und unzufrie- den mit den Unterkünften. Sie werden bevorzugt behandelt (früher Angekommene hätten keine Sprachkurse und Wohnungen erhalten), bedanken sich nicht, leben auf unsere Kosten, wollen gar nicht arbeiten, sondern nur unsere Sozialleistun- gen ausnützen. Des Weiteren sind sie verwöhnt, sexuell zügellos sowie frauenverachtend, viele davon kriminell und „passen“ nicht in unsere Kultur, da sie andere Werte vertreten. Seit dem Ereignis von 9/11, dem Anschlag auf das World Trade Center, und den terroristischen Anschlägen in Europa ist der Islam bzw. der Isla- mismus im Fokus der Kritik und die Muslime als ganze Gruppe laufen Gefahr, mit Vorurteilen bedacht zu werden. Es ist bekannt, dass die mei- sten Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak und aus Afghanistan Muslime sind. In der Vorurteilslogik ist die gesamte Gruppe der muslimischen Flücht- linge potentiell gefährlich. Wenn das Bild von demmuslimischen Flücht- ling, der „nicht in unsere Kultur passt“ und eine „Gefahr“ für unsere Kultur darstellt, damit be- ginnt, ein Eigenleben zu führen, dann haben die Vorurteile das Bewusstsein des Kollektivs/der Gesellschaft unterwandert. Ein kollektives, para- noides Wahnsystem zeichnet sich dadurch aus, dass lückenlos begründet wird, weshalb Muslime nicht kultur- und anpassungsfähig seien. Das Stereotyp wird im öffentlichen Diskurs unter der Befragung von Expertenwissen intellektualisiert und rationalisiert. Wenn wahnhafte Bilder vom bedrohlichen Flücht- ling überhandgewinnen, dann ist die Willkom- menskultur gefährdet und kann ins Gegenteil kip- pen. Die real Verfolgten werden dann zu irrealen Verfolgern. Die Debatte über Ambivalenzen, die notwendig geführt werden muss, alles Dafür und Dawider, kann dann öffentlich nicht mehr geführt werden, weil das Stereotyp „bedroh- licher Fremde“ sich hartnäckig behauptet und nicht mehr relativiert werden kann. Bei- spiele hierfür sind Bürgerver- sammlungen in Wien XXIII/ Liesing 2 und in vielen anderen – vorwiegend in den neuen deutschen – Bundesländern. Wenn die Stimmung kippt, dann fallen die Schranken des Respekts und die Gewalt der Verachtung gegenüber Fremden nimmt einen breiten Raum ein. Somit werden genau diese Werte real vertreten, gegen die man eigentlich auftritt! Freud hat schon in seinen Überlegungen zur Mas- senpsychologie 3 darauf verwiesen, dass spontane Massen ihr kritisches Bewusstsein verlieren, das Urteil der Menschen eingeschränkt ist und sie affektgeleitet werden. Dazu braucht es nach Freud immer einzelne politische Gruppen- führer, die in der Lage sind, mit politischem Gespür Massen- stimmungen aufzugreifen und sie wie als Echo zu verstärken. Das Gewissen des Einzelnen in der Masse ist ausgeschaltet und an die Stelle des Über-Ichs (oder der Moral- und Werteinstanz) setzt sich das Ich-Ideal eines Führers oder Verführers, dem die Masse undiszi- pliniert und enthemmt folgt. Erste Pogrome gegen Asylheime hat es in Deutsch- land und Österreich bereits gegeben. Real steigt also die Kriminalität (also etwas, das unseren Wer- ten entgegengesetzt ist) gegen Ausländer und nicht die der Flüchtlinge. „Wenn die Stimmung kippt, dann fallen die Schranken des Respekts und die Gewalt der Verachtung gegenüber Fremden nimmt einen brei- ten Raum ein. Somit werden genau diese Werte real ver- treten, gegen die man eigent- lich auftritt!“ „Wenn wieder die politische Rechte die Macht ergreift, indem sie in mehreren euro- päischen Ländern die Wahlen gewinnt, wäre das das end- gültige Scheitern Europas.“

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