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Frühling 2016 7 Migranten, die voller Hoffnung vor Not und Elend flohen. So die bittere Realität. Die Tourismusindustrie des 20. Jahrhunderts kom- merzialisiert das Fernweh, bietet Reiselustigen Pauschalangebote zu Schnäppchen- preisen, damit sie dort in der Fremde in den gesicherten Ressorts das und die Fremde/n fol- kloristisch erleben können. Auf der Insel Kos sind sich im Som- mer 2015 zwei Gruppen von Fremden begegnet, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Europäer, die Urlaub machten, Meer und Sonne genossen, und Flüchtlinge, die in ihrer Not die Küste der Insel erreichten und von Erst- helfern versorgt wurden. ENT-TÄUSCHUNG – Wir, die FREMDEN Die argentinischen Psychoanalytiker Grinberg/ Grinberg 6 verweisen in ihren Überlegungen zur Migration – indem sie das „Containment-Contai- ning-Modell“ von Wilfried R. Bion 7 aufgreifen – auf ein Aufeinandertreffen der Neuankömmlinge mit den Aufnehmenden, welches „katastrophenartig“ und krisenhaft verläuft. Die „emotionale Kata- strophe“ ist zwangsläufig notwendig, weil sich die psychischen Strukturen verändern müssen, und erfolgt schmerzhaft. Die Gefühlslagen wie Angst, Aggression, Frustra- tion, Konfusion und Enttäuschungen über die Flüchtlinge und deren eigenen Enttäuschungen über das „gelobte“ Land, den Sehn- suchtsort Europa oder Deutschland müssen seelisch durch- und verar- beitet werden. Man kann es mit einem Verdauungsprozess vergleichen. Es ist ein dramatischer Prozess, in dem Fremdes auf Fremdes trifft. Ein komplexer Prozess, der hier nicht ausführlich dargestellt werden kann. Unsere inneren Bilder der Fremden, der Flücht- linge sind emotional hoch besetzt und gehen mit Angstphantasien und Bedrohungsszenarien einher. Allein die Angst motiviert den Wunsch nach Objektivierbarkeit, nach Reduktion des Kom- plexen. Faktisch ist dies aber nicht möglich! So kommt es zu politischen Forderungen nach Ober- grenzen, Grenzzäunen, Schulungsprogrammen usw. Die Menschen des Aufnahmelandes meinen, ihrer legitimierten, erworbenen Rechte beraubt zu werden. Es wird davon ausgegangen, dass „die Gnade des Geburtsortes“ 8 einen Rechtsanspruch nach sich zieht. Es geht dabei aber immer auch um Neid, Erworbenes nicht teilen oder hergeben zu wollen. Einzelne Textpassagen stammen aus einem Vor- trag, der im Rahmen der Anima im Oktober 2015 gehalten wurde. ○ 1 Derrida, Jaques (1991): Das andere Cap. Die vertagte Demokratie. Zwei Essays zu Europa. Paris. Sowie Han, Byung Chul (2010): Müdigkeitsgesellschaft. Berlin. 2 Szigetvari, Andreas (2016): Unterbringung von 750 Asy- lanten in Liesing lässt Wogen hochgehen. In: http://derstan- dard.at/2000031079678/Unterbringung-von-750-Asylwer- bern-in-Liesing-laesst-Wogen-hochgehen (14.02.2016). 3 Freud, Sigmund (1921): Massenpsychologie und Ich-Analyse. 4 Principium individuacionis = Basis einer Persönlichkeits- entwicklung. 5 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1807): Phänomenologie des Geistes. Bamberg, Würzburg. 6 Grinberg, León/Grinberg, Rebeca (1990): Psychoanalyse der Migration und des Exils. Wien. 7 Bion, Wilfried R. (1992): Lernen durch Erfahrung. suhr- kamp taschenbuch. 8 Delna, Antia (2015): Liebe Österreicher, denkt einmal über die Gnade eures Geburtsortes nach. Interview mit Karim El-Gawhary. In: Das Biber. http://www.dasbiber.at/content/ liebe-oesterreicher-denkt-einmal-ueber-die-gnade-eures- geburtsortes-nach (22.03.2016). Helmut Kohl sprach 1983/84 von der „Gnade der späten Geburt“ der Deutschen, die nach 1930 geboren wurden und damit im NS nicht schuldig geworden sind, da sie noch Kinder waren. „Die Tourismusindustrie des 20. Jahrhunderts kommerzialisiert das Fernweh, bietet Reiselu- stigen Pauschalangebote zu Schnäppchenpreisen, damit sie dort in der Fremde in den gesicher- ten Ressorts das und die Fremde/n folkloristisch erleben können.“ „Unsere inneren Bilder der Fremden, der Flüchtlinge sind emotional hoch besetzt und gehen mit Angstphantasien und Bedrohungsszenarien einher.“ Dr. Peter Burtscher Psychotherapie Vorarlberg peter.burtscher@ifs.at Claudia Wielander, MSc Psychotherapie Vorarlberg claudia.wielander@ifs.at

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