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17 Frühling 2017 reisen konnten (ich bin mit ihm immer noch in Kontakt), und eine Frau in Salzburg half uns, den richtigen Weg zu finden. Aber nicht alle Menschen waren gut zu uns. Personen, die für Hilfsorgani- sationen als Dolmetscher gearbeitet haben, haben uns oft als Menschen zweiter Klasse behandelt. Im Erstaufnahmelager in Graz gab es kaummedi- zinische Versorgung. Meine Tochter erbrach sich drei Wochen lang und hatte Fieber. Sie wurde nicht richtig untersucht, bekam irgendwelche Medikamente, die nicht halfen. Erst als wir in der Tennishalle in Götzis waren, konnten wir zu einem Kinderarzt gehen, der Layan half. Im vergangenen Jahr habe ich viele Leute ken- nengelernt und versucht, die österreichische Lebensweise und Kultur zu verstehen. Ich lernte sympathische und weniger sympa- thische Menschen kennen. In Öster- reich gibt es gute und weniger gute Menschen, bei den Flüchtlingen ist es genauso. Es gibt Menschen, die Flüchtlinge ständig beobach- ten und nur darauf warten, dass sie einen Fehler machen. Warum stört es die Menschen, wenn wir z. B. die Vorhänge in der Nacht offen lassen? Die Menschen sprechen über uns, aber nicht mit uns. Manche Politiker nutzen uns aus, umWahlen zu gewinnen. Die Medien sprechen über Flüchtlinge, oft ohne Vernunft. Alle wollen, dass wir integriert werden, doch was ist Integration? Heißt Integra- tion, dass wir unsere Vergangenheit und Kultur vergessen müssen? Ich glaube, wir sollten mehr von gegenseitiger Akzeptanz reden. In einem Vortrag, bei dem ich übersetzt habe, hat der Vortragende gesagt, dass wir Flüchtlinge nun in einem anderen Land leben und alles, was wir in unseren Heimatländern gelebt haben, vergessen müssen. Er meinte auch, dass nicht jeder Moslem ein Terrorist sei, dass aber jeder Terrorist ein Mos- lem wäre. Diese Aussagen haben mich damals sehr geärgert. Heute denke ich, dass nicht die Flücht- linge selber das Problem sind, sondern die Reli- gion, zu der sie sich bekennen. Auf Facebook las ich viele Kommentare über Flüchtlinge wie z. B.: „Alle Flüchtlinge sind Mos- lems, wenn sie Christen wären, gäbe es keine Pro- bleme.“ „Warummachen sich die Männer alleine auf den Weg und lassen ihre Familien zurück?“ „Haben wir unser Land nach dem zweiten Welt- krieg verlassen?“ „Warum kommen so viele junge Flüchtlinge zu uns?“ Die Leute machen sich Gedanken, aber sie fra- gen nicht uns Flüchtlinge nach den Gründen für unsere Flucht. Es gibt viele Leute, die uns helfen wollen und uns als Menschen behandeln. Ich glaube, man sollte nicht auf jene Politiker hören, die sich nicht um die Menschen kümmern, sondern nur an die Macht kommen wollen. Den- ken Sie nach und suchen Sie selber nach Ant- worten. Informieren Sie sich bei verschiedenen Quellen. Wir haben auch gute Dinge und wir können voneinander lernen. Ich glaube, die Men- schen, die wirklich Hilfe brau- chen, sind die, die in Zeltlagern in der Türkei, im Libanon und Jordanien leben. Das sind die Kinder, die nicht in die Schule gehen können, die arbeiten müssen, um der Familie zu helfen. Die Österreicher sollten die Flüchtlinge mit ihrer Lebens- weise, Kultur, Vergangenheit und Religion annehmen. Flüchtlinge wiederum sollten bereit sein, Werte, Lebens- weisen und Gegebenheiten in Österreich verstehen zu wollen. Das wäre dann gegenseitiger Respekt. ○ Mohamad Saeed Nasry Freiwilliges Integrationsjahr ifs Beratungsstelle Bregenzerwald Zur Person Mohamad Saeed Nasry absolviert derzeit an der ifs Bera- tungsstelle Bregenzerwald im Flüchtlingscoaching, einem Ange- bot des Fachbereichs ifs Soziale Arbeit, das Freiwillige Integrati- onsjahr. Er übersetzt Gespräche mit Flüchtlingen, füllt mit diesen Anträge aus, sucht mit Bleibebe- rechtigten Wohnungen und beglei- tet sie bei Behördengängen und Wohnungsbesichtigungen. Saeed hat in Syrien Chemie studiert und arbeitete als Chemiker. Sein Ziel ist es, diesen Beruf auch in Österreich wieder ausüben zu können. „Die Menschen sprechen über uns, aber nicht mit uns.“ Mohamad Saeed Nasry bei seiner Arbeit in der ifs Beratungsstelle Bregenzerwald.

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