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15 Sommer 2018 Es sind viele kleine Erinnerungen, die sich anein- anderreihen und meine Kindheit skizzieren. Gut erinnern kann ich mich an eine Unsicherheit, die allgegenwärtig war. Ich habe an meinem ersten Tag im Kindergarten nicht gewusst, wie ich mich zu verhalten habe und machte das, was meine Mutter mir oft geraten hat: Wenn du nicht weißt, wie es geht, schau einfach, wie es die anderen machen und mach es ihnen nach. Ein Satz, der mich mein ganzes Leben lang begleiten sollte, denn ich wusste vieles nicht. Dieser Rat galt nicht nur für mich, denn auch meine Eltern wussten oft nicht, wie sie sich zu verhalten haben, schau- ten sich vieles ab oder haben einfach ihre Erfah- rungen machen müssen. Das Nachmachen klappte meistens gut, nur manchmal hat es nicht so ganz funktioniert. Das Kinderspiel „Pimperle pimperle, alles was fliegt” zum Beispiel habe ich nie richtig verstanden. Man musste mit den Zeigefingern an die Tisch- kanten klopfen. Immer dann, wenn die „Kinder- gartentante“ etwas benannte, das fliegt, galt es, die Hände in die Höhe zu strecken. Meine ganze Kindergartenzeit über wusste ich nicht, wann der Zeitpunkt richtig war, die Hände in die Luft zu strecken – und immer war ich die erste, die aus dem Spiel geflogen ist, weil ich auch die Hände gehoben habe, wenn die Kindergärtnerin „Pim- perle pimperle, der Tisch fliegt” sagte. Da war sie dann wieder: die große Unsicherheit, die oft in Schammündete, wenn mich alle ganz verwundert anstarrten. Es gab noch viele andere Spiele, die ich nicht verstand. Eines davon beherrsche ich heute noch nicht: das Jassen. Aber das ist eine andere Geschichte. Trotz dieser fehlenden Kenntnis würde ich mich dennoch als Vorarlbergerin bezeichnen. Ich lernte schnell, meine Unsicherheit bestmöglich zu verbergen, um nicht aufzufallen. Das Nicht-Auffallen ist so eine Sache, denn alles, Zur Person Julia Ha geboren 1978 in Binh Dai in Viet- nam, ist in Lochau aufgewachsen. Sie maturierte am BORG Lauterach und absolvierte ihr Psycholo- gie- sowie Doktorats-Studium in Innsbruck. Von 2009 bis 2013 war sie wissenschaftliche Mitarbeite- rin und Dozentin an der Pädago- gischen Hochschule Vorarlberg, danach leitete sie den Bereich „Projekte“ der Caritas St. Gallen- Appenzell und 2015 die Fachstelle Gender des Vereins Amazone. Seit Februar 2016 ist sie Leiterin der youngCaritas der Caritas Vorarl- berg. Julia Ha ist Mediatorin und Referentin für interkulturelle und transkulturelle Kompetenzen sowie Obfrau des Vereins Südwind Entwicklungspolitik Vorarlberg. Sie lebt in Dornbirn. was als Kind zählt, ist, dabei zu sein, mitmachen zu können, so zu sein wie alle anderen, das zu essen, was alle essen, und zu spielen, was alle spielen. Mit vielen Dingen war es uns möglich, mit vielen anderen Dingen nicht. Ich erinnere mich an unzählige Jausenbrote, die ich bewundert und um die ich meine KlassenkameradInnen beneidet habe. Danach waren es die Poesiealben, die ich zum Reinschreiben bekam. Am liebsten mochte ich jene, die so gestaltet waren wie Frage- bogen (Name, Lieblingsfarbe, Lieblingstier etc.) – da musste ich kein Gedicht reinschrei- ben, dessen Sinn sich mir nicht erschloss. Eines meiner ersten kulturel- len Missverständnisse, das ich nie vergessen werde, erlebte ich mit meinem Opa. Wir haben immer Familienmit- glieder bei uns zu Hause auf- genommen. Manchmal waren es mehrere auf einmal, immer aber zumindest zwei oder drei. Diese Wohnarrangements sind nicht selten in vietname- sischen Flüchtlingsfamilien. Die Unterkünfte waren nicht groß, aber die finanziellen und sozialen Umstände brachten die Familie und auch andere vietnamesische Flüchtlinge zusammen. Meine Eltern und ich sind 1978 aus demMekong Delta in einem kleinen Fischer- boot geflüchtet und landeten auf einer Flüchtlingsinsel in Malaysia, von der aus wir nach Vorarlberg gebracht wurden. Ich war damals ein halbes Jahr alt. Nun zurück zu jenem Sonntagvormittag, der mich und meinen Opa so beschäftigte. Wir hatten im Kindergarten gelernt, dass amWochenende der Muttertag vor der Tür stand, und wir sollten der Mama eine Freude bereiten. Alle im Kindergarten würden mit dem Papa ein Frühstück machen. Aus irgendeinem Grund hatte ich mir vorgenom- „Das Nicht-Auffallen ist so eine Sache, denn alles, was als Kind zählt, ist, dabei zu sein, mitmachen zu können, so zu sein wie alle anderen, das zu essen, was alle essen, und zu spielen, was alle spie- len.“ „Wenn du nicht weißt, wie es geht, schau ein- fach, wie es die anderen machen und mach es ihnen nach.“

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