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wie 18 Wieso fällt es vielen leichter, das Opfer zu ignorie- ren, anstatt den Täter mit der Tat zu konfrontie- ren und ihm zu sagen, dass seine Tat falsch war? Manchmal werden Täter – ganz offensiv – in Schutz genommen. Meistens werden sie einfach mehr oder weniger unerwähnt gelassen oder aber es wird verlangt, dass erst alles mit strafrechtli- chen Kriterien bewiesen werden muss. Sehr oft ist Gewalt im zwischenmenschlichen Bereich, in Paarbeziehungen, aber auch beruflichen Hie- rarchien im strafrechtlichen Sinne gar nicht nachweisbar bzw. es bedarf eines schwierigen Verfahrens. Das ist einer der Gründe, weshalb die meisten Betroffenen nicht gerne öffentlich darü- ber sprechen. Denn wenn der Vorwurf den straf- rechtlichen Kriterien nicht genügt, dann gelten die Betroffenen als nicht glaubwürdig. Die straf- rechtlichen Kriterien sind zu Recht hoch, doch außerhalb des Strafrechts müssen andere Regeln greifen. Wir können unser menschliches Zusam- menleben, unser kollegiales Zusammenarbeiten nicht an strafrechtlichen Normen ausrichten. Hier bedarf es einer anderen Kommunikation und auch einer anderen Verantwortungskultur. Nochmals zurück zu den Betroffenen. Wie kann man diesen Frauen und den mitbetroffenen Kin- dern helfen? Das klassische Hilfsinstrument in Bezug auf häus- liche Gewalt und Gewalt in Paarbeziehungen ist es, Betroffenen einen Zufluchtsort zur Verfügung zu stellen. Das ist mittlerweile europaweit gut gelungen. Viele andere Einrichtungen bieten Bera- tung und Unterstützung an, doch Schutz obliegt ausschließlich dem Frauenhaus. Aber gerade mit der neuen Gesetzgebung – Öster- reich war mit der Wegweisung europaweit Vorrei- ter und Vorbild – hat das Unterstützungssystem zunehmend an Bedeutung gewonnen. Denn wenn man nach der Maxime „Wer schlägt, der geht“ han- deln will, dann führt der Weg aus dem Dilemma nicht mehr nur ins Frauenhaus, sondern es besteht die Möglichkeit, dass die gewaltausübende Person Leider gehört Gewalt noch immer zum Alltag vie- ler Frauen und Kinder dazu. Wie kann man den Betroffenen helfen? Es ist spannend, dass Sie mit diesem Thema in das Gespräch einsteigen, denn gesellschaftlich gibt es in Bezug auf das Dazugehören von Gewaltbe- troffenen ein großes Problem: Das Opferstigma grenzt diejenigen aus, die Gewalt erleiden, nicht diejenigen, die Gewalt tun. Täter erfahren nur in zugespitzten Situationen Ausgrenzung. Die „Normalität“ möchte nicht mit dem Opfersein in Verbindung gebracht werden. Auch die öffentliche Debatte über sexuelle Belästi- gung und sexuelle Gewalt, die mit #metoo – wieder einmal – losgetreten wurde, zeigt dies. Es wird deutlich, wie sehr sich Betroffene ins soziale Abseits manövrieren können, wenn sie von ihrem Gewalterleben erzählen. Und nur sehr selten trifft es diejenigen, die Gewalt getan haben oder dessen beschuldigt werden. Ich persönlich erachte es als eine sehr spannende gesell- schafts- und sozialpolitische Diskussion, denn kein Mensch kennt eine Strategie, um gegen dieses Opferstigma vorzu- gehen. Ab und zu wird mit wohlwollenden Worten festge- halten: „Sie sind ja so mutig!“ Alleine dass es Mut bedarf, zu sagen, dass einem Unrecht geschehen ist, macht deutlich, wie stark die Ausgrenzung wirkt und wie stark Scham und Schuld bei jenen verortet werden, die Gewalt erlebt haben, nicht bei denen, die Gewalt getan haben. Eine völlige Absurdität. Das Opferstigma grenzt jene aus, die Gewalt erleiden, nicht jene, die Gewalt ausüben Ein Gespräch mit Prof. Dr. Barbara Kavemann Zur Person Prof. Dr. Barbara Kavemann ist Dipl. Soziologin, Wissen- schaftliche Mitarbeiterin des Sozialwissenschaftlichen Frau- enForschungsInstituts Freiburg und Honorarprofessorin an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin. Ihre Themenschwerpunkte sind Gewalt im Geschlechterverhält- nis, sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, Prosti- tution und Menschenhandel. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten zäh- len die praxisbegleitende, evalu- ierende Forschung und der Trans- fer von Forschungsergebnissen in die Praxis. Sie ist Mitglied der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Kin- desmissbrauchs in Deutschland. www.barbara-kavemann.de

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