ifs_zeitschrift_1_19_sc

11 Frühling 2019 die Patchworkfamilie einerseits ein Neuanfang, andererseits jedoch wirkt die Vergangenheit häu- fig tief in die Gegenwart der Familienmitglieder hinein. Patchwork-Familien sind Familien mit Neuanfang und Familien mit Vergangenheit. Die Eltern-Kind-Bindungen bestehen bereits, bevor die neue Partnerbeziehung beginnt. Die Kinder sind oft Mitglieder von zwei Haushal- ten bzw. Teilfamilien. An schul- und arbeitsfreien Tagen ist die Patchwork-Familie deshalb oft nicht vollständig zu Hause anzutreffen. Sie ist niemals in sich geschlossen, sondern steht immer im Aus- tausch mit wichtigen Bezugspersonen außerhalb der eigenen Konstellation. Selbst wenn der andere Elternteil nicht präsent ist, wirkt er auf verschie- dene Weise indirekt auf das Familiensystem ein. Dies erschwert die Kohäsion und die Pflege der neuen „Familienkultur“. Die Herausforderungen für Patchwork-Familien liegen in der Entwicklung von Zugehörigkeit, Zusammenhalt und Geborgen- heit in der „neuen“ Familie, ohne den leiblichen, getrenntlebenden Elternteil auszuschließen. Es braucht zunächst die Bewältigung vergangener Verluste und Veränderungen, die mit der elter- lichen Trennung (oder dem Tod bzw. der Abwe- senheit eines Elternteils) verbunden sind, sowie eine klare Trennung von Paar- und Elternebene. Getrennte Paare bleiben nach wie vor Eltern ihrer gemeinsamen Kinder und sollten sich um eine gute Elternkooperation bemühen. Eine positive neue Familiengeschichte schreiben Die Integration des Patchwork-Elternteils – und eventuell auch seiner Kinder – in das neue Fami- liensystem bedeu- tet, die Rollen und Aufgaben zwischen den einzelnen Fami- lienmitgliedern, einschließlich des leiblichen Eltern- teils, neu abzuv- stimmen. Dabei sollte die Erzie- hungskompetenz bei den leiblichen Elternteilen verblei- ben. Kinder in Patchworkfamilien sollten nicht als eine homogene Gruppe behandelt werden. Wichtig ist die Erfahrung, dass sie in der neuen Familie gleichermaßen ernst genommen und weder bevorzugt noch benachteiligt werden. Es ist ein Bedürfnis von Kindern, neben der Existenz in den beiden Familienverbänden auch Zeit alleine mit Vater oder Mutter verbringen zu dürfen, denn Kinder brauchen die Gewissheit, dass bestehende Bindungen fortgesetzt werden. Die Akzeptanz der Erstfamilie ist ein wesentlicher Faktor für das Gelingen einer Patchwork-Familie. Die Haltung des Patchwork-Elternteils gegenüber den Patch- work-Kindern sollte sich als die eines väterlichen Freundes oder einer mütter- lichen Freundin gestalten. Gleichfalls wichtig ist es, die Ebene der neuen Partner- schaft zu pflegen. Je stabiler die Partnerschaft der Erwach- senen ist, desto sicherer ist das Fundament der ganzen Patch- workfamilie. Dazu benötigen Paare ein gewisses Ausmaß an gemeinsam verbrachter Zeit als Paar ohne Kinder und ein wechselseitiges Verständ- nis für die Familienkultur in den vorausgegangenen Familiensystemen. In der Pflege der neuen Beziehung und im Bemühen um den Aufbau einer neuen Familienkultur, die Verbindendes (Wurzeln) nährt und Individuelles (Flügel) gewährt, wird im Patchwork-Familien- system eine positive neue Familiengeschichte geschrieben. ○ 1 Interview mit Prof. Dr. Gerald Hüther (2017): Bewusstheit und Verbundenheit – Wie Du Dein Potential entwickeln kannst. In: https://www.welt-im-wandel.tv/video/bewusst- sein-verbundenheit-wie-du-dein-potenzial-entwickeln- kannst/ (30.04.2019). 2 Minuchin, Salvador (2012): Families & Family Therapy. Routledge. 3 Satir, Virginia (2004): Familientherapie in Aktion: Die Konzepte von Virginia Satir und Michele Baldwin. Junfermann. 4 Ainsworth, Mary (1985): Patterns of infant-mother attachements. Antecedents and effects on development. Bulletin of New York Academy of Medicine, 61, S. 771-791. 5 Schmidt, Gunther (2016): Bezogene Individuation – Sinn- erfüllende Selbststeuerung in Verbundenheit. Fachvortrag im Rahmen des 11. Zukunftskongresses des METAFORUM Sommercamp, 29.-30. Juli in Abano Therme, Italien (CD, DVD). „Die Herausforderungen für Patchwork-Familien liegen in der Entwick- lung von Zugehörigkeit, Zusammenhalt und Geborgenheit in der ‚neuen‘ Familie, ohne den leiblichen, getrennt­ lebenden Elternteil auszuschließen.“ Buchtipps Christine Nöstlinger: Als mein Vater die Mutter der Anna Lachs heiraten wollte. Oetinger 2013 Christine Hefti: Patchwork-Fami- lien: 23 Fragen, Antworten und Fakten. BoD-Books on Demand, Norderstedt 2018. Jesper Juul: Aus Stiefeltern wer- den Bonuseltern: Chancen und Herausforderungen für Patch- work-Familien. Kösel 2011. Mag. Dr. phil. Martina Hubner ifs Familienberatung martina.hubner@ifs.at

RkJQdWJsaXNoZXIy NTQ2MDY0