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wie 20 Auf Einladung von „Psychotherapie Vorarlberg“ haben Sie am Donnerstag, den 16. Mai im Löwen- saal in Hohenems einen öffentlichen Vortrag gehalten. Thema des Vortrages war „Klimakrisen der Innenwelt. Was schützt uns vor Burnout und Depression?“. Können Sie uns einige Gedanken dazu präsentieren? Wie die hochentwickelten Gesellschaften bis zu sechsmal mehr Energie und Rohstoffe verbrau- chen, als sich auf dem Planeten regenerieren kann, so wächst auch in den Konsumgesellschaften die seelische Erschöpfung und nimmt bedrohliche Formen an. Die Depression wird zur häufigsten Ursache der Unfähigkeit, weiter am gesellschaft- lichen Leben teilzunehmen. In den armen Ländern sind Entspannung, Lebensfreude und Bereitschaft zum Lachen leichter zu finden als in den rei- chen. Dort dominie- ren Ängste. Ein Verständnis der Depression wird durch falsche Alter- nativen behindert, jener zwischen „nature or nurture“ („Erbe oder Umwelt“) ebenso wie jener zwischen „Schuld oder Schicksal“, „Krankheit oder Verantwortung“. Anlagen werden durch die Umwelt entwickelt und verwirklicht. Wer die Anlage zu Chorea Huntington in seinen Genen trägt, wird irgendwann schwer krank, egal in welchen Umständen er aufwächst und lebt. Aber niemand kann Alkoholiker in einer Kultur werden, in der kein Alkohol produziert wird. Der wichtigste schädliche Einfluss in der Konsumge- sellschaft ist die Angst der Eltern, dass aus dem Kind „nichts werden“ könnte. Sie prägt das Kind stärker, als es die Eltern bemerken und beabsich- tigen. Die Verinnerlichung von Angst und Unruhe führt dazu, dass die entsprechenden seelischen (und nervösen) Strukturen überaktiv werden. Insbesondere Eltern, die ihre eigenen Traumatisie- rungen gerade noch kompensieren können, wollen „das Beste“ für ihre Kinder – und setzen sie unter einen Druck, der deren seelische Entwicklung belastet. Die Überschätzung von Leistung und Anpassung als Grundlage des Selbstgefühls in unseren Gesell- schaften ist den Depressionsgefährdeten nicht bewusst. Sie finden diese Position völlig „normal“. In der Konsumwelt ist die Orientierung an einer täglich erlebten Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns und an einem handwerklichen Streben nach guter Arbeit zurückgetreten. Sie wird durch eine unper- sönliche, nicht mehr auf Handwerkliches gerich- tete Erfolgsorientierung ersetzt – ein angesehener Beruf, viel Geld verdienen, attraktiv sein, attrak- tive Partner finden. Solange das Streben nach Perfektionismus handwerklich geordnet bleibt, schadet es nicht. Sobald es sich aber auf Gefühle, Beziehungen, Charaktereigenschaften oder soziale Anerkennung richtet, wird es zum Verhängnis. Denn die perfekte Liebe gibt es so wenig wie den perfekten Chef oder die perfekten Eltern. Abschließend noch eine persönliche Frage: Sie arbeiten schon seit den 70er-Jahren – neben Ihrer Tätigkeit als Schriftsteller – als Psychoanalytiker und Psychotherapeut. Wöchentlich erscheint Ihre Kolumne im ZEIT-Magazin über „die großen Fragen der Liebe“. Was bewegt Sie persönlich, was treibt Sie an – in Ihren Anfängen und nun heute? Viele halten mich für einen Psychoanalytiker, der Sachbücher über sein Fach und über gesell- schaftliche Phänomene schreibt. Das ist kein Irrtum, aber auch nicht die Wahrheit. In meiner Sicht bin ich eher ein Autor, der aus persönlichen Bedrängnissen zur Psychoanalyse gefunden hat und Freude daran fand, die eigene Erfahrung wei- terzugeben. Ich glaube, dass die Leidenschaft für die Sprache der therapeutischen Arbeit teils nützt, teils wegen ihrer narzisstischen Komponente auch schadet. Man sollte, hier wie andernorts, wissen, was man tut – und findet es zu oft erst imNachhin­ ein heraus. Jedenfalls erklärt sich der manchmal mit Staunen und Bewunderung, dann aber auch wieder mit Zweifel an der Qualität so vieler Bücher und Texte („Vielschreiber“) kommentierte Umfang meines „Werkes“ recht einfach: Es beruhigt mich, zu schreiben, wie andere vielleicht ein Glas Wein oder ein Benzodiazepin beruhigt. Und ich habe bis heute Freude daran, Menschen kennenzulernen und mich mit ihnen auszutauschen, so dass ich die psychoanalytische Arbeit auch nach Erreichen des Rentenalters nicht missen mag. ○ Das Gespräch führte „Der wichtigste schäd- liche Einfluss in der Konsumgesellschaft ist die Angst der Eltern, dass aus dem Kind ‚nichts werden‘ könnte. Sie prägt das Kind stärker, als es die Eltern bemerken und beabsichtigen.“ Dr. Günther Rösel Kooperationspartner Psychotherapie Vorarlberg

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