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25 Frühling 2019 Können Sie Ihre persönliche Geschichte kurz skiz- zieren? Wann haben Sie bemerkt, dass ihre Bezie- hung nicht „gesund“ ist? Mein Partner und ich waren 16 Jahre lang zusam- men. Anfangs gestaltete sich die Beziehung natür- lich als wunderschön, doch über die Jahre hinweg wurde sie zunehmend vergiftet. Es begann mit der Isolation, mit schleichenden Veränderungen. Das Ganze hat sich über die Jahre zugespitzt. Auch ich habe mich verändert, denn psychische Gewalt ist ein tiefer Einschnitt in die Psyche eines Menschen und gerade die Isolation führt zu Veränderungen. Nach 12 Jahren Beziehung hatten wir uns dazu entschieden, ein Haus zu bauen. Mein Partner war Perfektionist, zusätzlich Narzisst und auch noch hypochondrisch veranlagt. Der Hausbau ist zu einer richtigen Tortur geworden. Ich musste alles machen, war sozusagen das ausführende Organ. Diese physische Belastung, gepaart mit dem psy- chischen Missbrauch, den ich tagtäglich ertragen musste, hatte zur Folge, dass ich zwei Jahre nach der Fertigstellung des Eigenheims keine Kraft mehr hatte. Ich litt nach diesen permanenten Traumatisierungen an einem Burnout. Den Begriff psychische Gewalt hatte ich bis dahin noch gar nie gehört. Mir war deswegen vorerst auch gar nicht klar, was mit mir passiert, dachte, dass ich mich ein- fach von meinem Burnout erholen muss. Mein Glück war, dass mich eine sehr gute und erfahrene Psychotherapeutin unterstützte. Gemeinsam haben wir uns meinen Problemen gewidmet und ich glaube, meine Therapeutin hat schon früh geahnt, dass in meiner Beziehung etwas nicht stimmt. Im Laufe der Therapie wurde mir dann klar, dass psychische Gewalt mit im Spiel ist. Plötzlich war so vieles klar für mich! Doch zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nicht die Kraft zu gehen. Es hat daher noch drei Monate gedauert, bis ich ausgezogen bin. Tief in meinem Inneren hatte ich sicher schon viel früher bemerkt, dass in unserer Partnerschaft irgendetwas nicht stimmt, aber ich wollte einfach nicht hinschauen. Mir war die Beziehung wichtig, ich habe diesen Mann ja geliebt. Die von meinemHausarzt empfohlenen Psycho- pharmaka wollte ich partout nicht nehmen – ich wollte es ohne Medikamente schaffen. Er ver- schrieb mir somit einen dreiwöchigen Kuraufent- halt. Und nach diesen drei erholsamenWochen habe ich dann den Entschluss gefasst, meinen Partner zu verlassen, und so habe ich ihm das dann auch mitgeteilt. Darauf folgte natürlich Horror und Terror – wie es halt in so einer Beziehung ist. Ich habe sofort gemerkt, wie meine Kraft von drei Wochen mühsamer Erholung auf der Kur binnen kurzer Zeit wieder zu schwinden schien. So bin ich nach nur zwei Tagen zu Hause aus dem neu gebauten Haus wieder ausgezogen, habe nur ein paar Sachen gepackt und bin regelrecht geflohen. Danach stellte sich die Frage, wie wir alles aus- einanderdividieren. Das Geld, das ich in das Haus gesteckt habe, hat er mir teils zurückgegeben. Ich war darauf angewiesen, denn zwischenzeitlich hatte ich nach vier Monaten Krankenstand meine Arbeitsstelle verloren und es kamen viele Kosten auf mich zu. Ich bin zurück zu mei- nen Eltern gezogen – von heute auf morgen – ganz einfach mit nichts zurück. Das ist jetzt drei Jahre her und mir geht es mitt- lerweile – auch dank der Trau- matherapie – wieder gut. Ich habe neu angefangen und stehe mitten in meinem Leben. Sie haben es schon angespro- chen, psychische Gewalterfah- rungen sind nur sehr schwer inWorte zu fassen. Warum ist das so? Ich glaube, diese Art von Gewalt ist so schwer zu fas- sen und das Erlebte so schwer auszusprechen, da es sich um ein Tabuthema handelt. Man schämt sich für das, was pas- siert. Man fragt sich, wie man das Unbegreifliche, das zu Hause geschieht, inWorte fas- sen soll. Wie erklärt man seiner Familie, dass die Beziehung nicht gut ist, dass man sich nicht wohlfühlt, dass man sich gefangen fühlt? Wie soll man das Unfassbare aussprechen, dass der Mensch, den man eigentlich von Herzen liebt und der einem am nächsten steht, einem so etwas antut? Vor allemweiß man auch nie, wie der Täter reagiert, wenn man sich jemandem anvertraut. Sicher ist, dass man wieder gedemütigt, wieder angeschrien, wieder blöd hingestellt wird. Konnten Sie sich letztendlich jemandem aus ihrer Familie anvertrauen? Ja, ich habe mich meinem Vater anvertraut. Es hat lange gedauert, bis wir wieder ein richtiges Ver- Wissen Psychische Gewalt ist ein zielgerichtetes, über einen längeren Zeitraum andauerndes, seelisches Quälen. Immer wieder attackiert der Angreifer das Opfer mit Erniedrigungen, Abwertungen, Schuldzuweisungen, Unterstel- lungen oder aber auch mit gezielter Ignoranz oder Kontaktverweige- rung. Dazu versucht er auf ver- schiedenen Ebenen ständige Kon- trolle über das Opfer auszuüben, bedroht es oder setzt es unter Druck bzw. sorgt dafür, dass die angegriffene Person sozial isoliert wird. Er behindert das Opfer im Alltag, macht es in der Öffentlich- keit lächerlich und demonstriert in Alltagssituationen ständig seine Macht. All dies führt dazu, dass sich die Wahrnehmung der in ihrer psychischen Integrität verletzten Person langsam zu verschieben beginnt, plötzlich fühlt sie sich wirklich wertlos, glaubt, dass sie im Alltag ohne Angreifer nicht mehr zurechtkommt, hat ständig Angst zu versagen oder tatsächlich „verrückt“ zu werden. 1

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