ifs_zeitschrift_1_19_sc

wie 26 trauensverhältnis aufbauen konnten, denn ich war über eine lange Zeit hinweg völlig isoliert. Es ist die Taktik der Täter, einen Keil zwischen die Opfer und ihre Familien zu treiben. Ich war so stark ein- geengt, dass ich ganz lange gewartet habe, bis ich mich endlich traute, mit meinem Vater zu reden. Als ich dann aber endlich den ersten Schritt gewagt habe, hat er mir sehr geholfen, aus dieser Situation herauszu- kommen. Er war mir eine große Stütze. Von meinen Freun- dinnen habe ich auch viel Hilfe erfahren. Ja, ich habe meine alten Freundinnen sozusagen wieder in mein Boot geholt. Sie konnten zwar nur schwer nachvollziehen, was in meiner Beziehung passiert war, aber sie waren für mich da. Und natürlich war die Psychotherapie eine große Stütze. Von den jahrelangen Belastungen hatte ich nicht nur ein Burnout, sondern auch eine posttraumatische Belastungsstörung davongetragen. In demMoment, in dem die körperliche und psy- chische Erschöpfung so stark war, dass Sie fest- stellten, dass es so nicht mehr weitergehen kann, haben Sie sich Hilfe geholt. Aber Ihnen war eigent- lich noch nicht ganz klar, welches Problem Ihrer Erschöpfung zugrunde liegt. Richtig, mir war nicht bewusst, was in meiner Beziehung passierte. In der Therapie richtete sich der Blick dann plötzlich auf mich, nicht auf meinen Partner. Es ging darum, dass es mir gut geht. So konnte ich verstehen, was geschehen war. Warum dauert es oft so lange, bis Betroffene eine ungesunde Beziehung beenden? Ich werde häufig gefragt, warum ich so lange geblieben bin. Ganz einfach, weil ich immer die Hoffnung hatte, dass es besser wird. Man stellt sich sein Leben anders vor und hält an dieser Wunsch- vorstellung fest. Ich dachte immer, dass nach dem Hausbau alles besser wird, wir würden es schaffen, das Leben gemeinsam zu meistern und gemein- sam alt zu werden. Ich war zuversichtlich, dass er sich bessern, mich mit Würde behandeln und die Erniedrigungen endlich lassen würde. Zudemwar bei uns immer ganz klar: Wenn einer die Beziehung beendet, dann bin nicht ich es, sondern er. So war das Machtverhältnis. Ich war völlig isoliert und nur dazu da, ihn glücklich zu machen. Ich wusste, wenn ich gehe, bin ich alleine, dann bekomme ich die volle Wucht seiner Wut ab. Die Kraft, ihn zu verlassen, hatte ich erst nach der Zeit auf Reha. In einem Buch bin ich erst nach der Flucht über den Begriff „Grauer-Fels-Methode“ gestolpert und ich habe mich sofort darin wiedererkannt. Diese Methode erfordert viel Kraft, sie ist aber sehr effektiv. So habe ich mich damals in der Gegenwart meines Partners wie ein an seine Umgebung ange- passter grauer Fels verhalten. Ich war komplett unauffällig und habe seine Spielchen einfach wei- terhin mitgespielt. Aber irgendwo imHinterkopf war bereits der Gedanke da, dass ich eines Tages von ihmweggehen werde. Mit einer langen Vorbe- reitungszeit hat die Flucht dann ja auch tatsächlich geklappt. Sie haben eine Selbsthilfegruppe gegründet. Kön- nen Sie dazu noch etwas erzählen? Ich war selbst auf der Suche nach einer Selbsthil- fegruppe, da ich gemerkt habe, dass es mir gut tut, über das Erlebte zu sprechen. Ich wollte auch Men- schen kennenlernen, denen dasselbe passiert ist wie mir. Aber es gab keine Gruppe für Betroffene von psychischer Gewalt. So habe ich im Februar 2018 selbst die Selbsthilfegruppe „Sonnenblume“ gegründet und im September 2018 fand unser erstes Gruppentreffen statt. Unsere Gruppe rich- tet sich an betroffene Frauen, die sich bei uns zu 100 Prozent anonym treffen können. Zu unseren Grundsätzen zählen Werte wie: Verschwiegenheit, Gemeinschaft, Freiwilligkeit, Verantwortung. Nie- mand ist beispielsweise verpflichtet zu kommen oder zu sprechen oder seinen Namen zu sagen. Wir betonen auch immer, dass jede ihren individuellen Problemrucksack hat, der ihr gehört und den sie wieder mitnimmt, wenn sie geht. Denn ich bin keine ausgebildete Fachkraft, sondern auch nur eine Betroffene und Teilnehmerin der Gruppe. Ich kann den anderen meine eigene Geschichte erzäh- len, die mich heute hierhergebracht hat. Ihren jeweiligen Rucksack kann ich den Frauen aber nicht abnehmen. ○ Das Gespräch führte Dr. Julia Kleindinst. 1 Brem, Andrea (2014): Sichtbarmachen der verborgenen Gewalt. In: https://www.gewaltinfo.at/themen/2014_11/ sichtbarmachen-der-verborgenen-gewalt.php (09.05.2019). Wissen Selbsthilfegruppe Sonnenblume für Frauen, die von psychi- scher Gewalt betroffen sind. Die Treffen finden jeden 2. und 4. Donnerstag imMonat jeweils um 19 Uhr statt. Lebensraum Bregenz StadtteilzentrumMariahilf Clemens-Holzmeister-Gasse 2 Kontaktiere uns bitte unter Telefon 0650-6321980 sonnenblumeshg@gmail.com

RkJQdWJsaXNoZXIy NTQ2MDY0