ifs_zeitschrift_2-11

www.ifs.at Seite 11 hin gehen durfte. Es war eine sehr große Erleichterung, dass jemand für mich da war, dass da Menschen waren, die mir in dieser schwierigen Situation weiterge­ holfen haben. Eigentlich war ich schon als Kind ein starker Mensch, musste schon früh auf eigenen Beinen stehen. Aber in dieser Situation, mit den Problemen, die mein Sohn bereitete, war ich einfach überfor­ dert. Wenn es um das eigene Kind geht, wird alles noch viel schwieriger,alswenn man mit sich selbst Probleme hat. In den Beratungsgesprächen und wäh­ rend der Betreuung durch meinen the­ rapeutischen Begleiter bin ich mit mei­ nen eigenen Schwächen konfrontiert worden und habe erfahren, was ich in der Beziehung zu und im Umgang mit meinem Sohn hätte anders machen können – hätte anders machen müssen. Es wurden mir Dinge aufgezeigt, die ich nicht mehr wiederholen sollte, Situatio­ nen, in denen David sich einfach durch­ geschlichen hat und ich immer nur das Beste für ihn herausgepickt habe. Vor lauter Liebe habe ich lange Zeit nicht bemerkt, dass auch ich Fehler mache. Es wurde mir deutlich, dass ich in der Erziehung zu wenig konsequent war. David schaffte es mit seiner lieben Art immer wieder, dass ich schwach wurde, und so ist er, ohne dass ich ihmwirkliche Grenzen gesetzt habe, immer wieder durchgekommen. Ich habe eingesehen, dass ich meinem Sohn nichts Gutes tue, wenn ich immer wieder „umfalle“, nicht konsequent für meine Grenzen eintrete. Während der vielen Gespräche mit mei­ nem therapeutischen Begleiter ist mir auch klar geworden, dass ich völlig dar­ auf vergessen habe, auf mich selbst acht zu geben. Ich war mir selbst nicht mehr wichtig, habe mich irgendwie selbst vergessen. Dabei ist es sehr wichtig, auf sich selbst acht zu geben, darauf zu schauen, dass es einem selbst gut geht. Von Gespräch zu Gespräch habe ich im­ mer mehr bemerkt, wie gut mir die Be­ ratung tut. Ich habe mich wieder selbst gespürt. So habe ich mich auch gestärkt gefühlt, um auf meinem eigenen Weg zu bleiben. Ich habe die Kraft gefun­ den, um mich nicht mehr andauernd von meinem Sohn umstimmen und von meinemWeg abbringen zu lassen. Als die Jugendlichen aus dem Ausland zurückgekommen sind, waren wir alle – Jugendliche, Betreuer, Therapeuten und Angehörige – gemeinsam für zwei Tage auf einer Hütte. Das waren zwei schöne Tage! Die Jugendlichen haben erzählt, wie es ihnen vor ihrer Abreise, in dieser schwierigen Lebensphase, ergangen ist, welche Erfahrungen sie im Ausland ge­ macht haben und welche Ziele sie nun verfolgen. Und auch wir Angehörigen konnten erzählen, auch ich bin zu Wort gekommen und habe von meinen Ge­ fühlen vor und während der Reise sowie von meinen jetzigen Vorstellungen be­ richtet. Ich habe David klar gesagt, was ich möchte, dass er sich nach meinen Regeln zu richten hat, wo er wohnen wird. Und es war ok für ihn. Mein Sohn hat ziemlich schnell be­ griffen, dass nicht nur er sich, sondern auch ich mich verändert habe. Und ich war stolz, dass ich ihm meine Verände­ rungen so deutlich aufzeigen konnte. Anfangs war David etwas wütend. Es wurde ein Thema angeschnitten, das Aggressionen bei ihm auslöste. Doch es dauerte nicht lange – er hat über die Situation nachgedacht und recht rasch verstanden, weshalb ich so reagiere und auch so reagieren muss. Es wurde ihm klar, dass das JIP keinen Sinn machen würde, wenn nicht auch ich eine Ver­ änderung durchgemacht und nun klare Grenzen hätte. Auf das Hüttenwochenende folgten zehn Wochen Nachbetreuung. Der Be­ treuer, der mit David im Ausland war, stand uns weiterhin als Ansprechperson zur Verfügung. Auch ich konnte weiter­ hin Gespräche mit meinem therapeu­ tischen Begleiter führen. Für mich war es sehr wichtig, dass uns weiterhin eine Fachperson zur Seite stand. Ich war so dankbar für diese Unterstützung. Obwohl sich so vieles zum Positiven hin verändert hat, gibt es nach wie vor Situationen, in denen David in seine alten Verhaltensmuster zurückfällt. Er braucht weiterhin Hilfe und Unterstüt­ zung. Aber wir sind gemeinsam auf dem richtigenWeg und nehmen die Dinge in Angriff. Es ist schön, dass er so große Fortschritte gemacht hat. Manchmal sind die Probleme etwas größer, doch ich bin zuversichtlich, dass David diese Hürden meistern wird. Ich selbst muss mich auch immer wie­ der ermahnen und mich daran erinnern, nicht so zu reagieren wie früher. Manchmal kommt es zu kleinen Zwi­ schenfällen. Früher ist er dann wegge­ gangen, hat sich von mir entfernt. Heu­ te kommt er nach ein paar Minuten zu mir, versteht, dass sein Verhalten nicht in Ordnung war und beteuert, dass er sich bemühen wird, in Zukunft anders zu reagieren. Ich sehe, dass alles Schritt für Schritt besser wird. Und ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass eines Tages al­ les wieder gut sein wird. Die Wut hat mir geholfen, die Angst zu überwinden. Es war ein Wechsel zwi­ schen Angst und Wut – und plötzlich war nur mehrWut in mir. Ich dachte mir, das kann doch alles nicht wahr sein! Und die Wut war der Startschuss für meine innerliche Veränderung. Die Wut war Antrieb und Hilfe dieser Veränderung. Seit David zurück ist, hat es einen gro­ ßen Streit gegeben – und auch in dieser Situation habe ich es geschafft, meinen Standpunkt konsequent zu vertreten. Erst gestern habe ich ihmwieder gesagt, dass es so nicht funktioniert. Ich bleibe standhaft! David hat mich dann von sich aus angerufen und mir gesagt, dass wir über diesen Vorfall sprechen, uns aussprechen müssen. Er fragte, wann ich heim komme, er würde sich auf mich freuen. Es ist so lange her, seit ich das gehört habe. Früher hätte er das nie­ mals zu mir gesagt. Da wollte er nur al­ leine sein, glaubte, er könne selbständig leben, war froh, wenn ich nicht da war. Die Freude war riesengroß, als ich hörte, dass er sich auf mich freut, als er frag­ te, wann ich nach Hause komme, damit wir miteinander essen können. Ich habe zuvor ein ganzes Jahr lang nicht mehr zusammen mit ihm an einem Tisch ge­ sessen! ● * Name von der Redaktion geändert. facts IfS-Jugend-Intensiv-Programm Leitung und Anfragebearbeitung: Birgit Franzke Ganahl-Areal, Schießstätte 14 6800 Feldkirch T 05522/75902 E birgit.franzke@ifs.at

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