ifs_zeitschrift_2-11

www.ifs.at Seite 16 Laut Barbara Senkel weisen Menschen mit einem Unterstützungsbedarf auf- grund einer eingeschränkten kognitiven Leistungsfähigkeit und einer daraus re- sultierenden Reizverarbeitungsschwä- che sehr häufig eine emotionale Beein- trächtigung auf. Das bedeutet, dass „die Fähigkeit, Reize aus der Umwelt oder dem Körperinneren aufzunehmen, in sinnvolle Informationen umzuwandeln und angemessen zu beantworten“ 1 , re- duziert ist. Die Fähigkeit, die Wahrneh- mungen zu organisieren und zu verste- hen, daraus Handlungen zu planen und durchzuführen, sinkt enorm und führt zu einem fehlenden Realitätsbewusst- sein. Als Folge dieser Schwierigkeiten erlebt man die Welt als wenig begreiflich, Er­ eignisse oftmals als undurchschaubar und sich selbst als abhängig und vielen Gegebenheiten hilflos ausgeliefert.Man erfährt sich als kaum fähig, Einfluss auf die Geschehnisse zu nehmen und die persönliche Lebenswelt nach eigenem Wunsch mitzugestalten. Die eigene Wirksamkeit bleibt äußerst gering, mächtig sind die anderen, zum Beispiel Eltern, ArbeitgeberInnen, BetreuerInnen etc. In unserer täglichen Arbeit im IfS-Fun­ dament begegnet uns die Angst, den Anforderungen von Lebenswelt, Arbeit, Wohnen und sozialen Beziehungen nicht gerecht zu werden, in vielen un­ terschiedlichen Formen, Geschichten und Gesichtern. Hinter der Fassade Reinhard meldet sich bei uns mit dem Wunsch, einen Raum für sich zu ha­ ben, um sich ordnen und orientieren zu können. Er fällt durch seine hohe Leis­ tungsbereitschaft auf und möchte bei der Arbeit mehr als 100% leisten. Er will es allen recht machen und in Harmonie mit der Umwelt leben. Er versteckt sich hinter einer „glänzenden Fassade“ und glaubt von sich, dass es ihm gut geht. Nur sein Körper mache ihm dauernd ei­ nen Strich durch die Rechnung. Sein Körper setzt deutliche Signale: Häufige Zusammenbrüche und Ausfäl­ le, körperliche Symptome wie Zittern und Gefühllosigkeit in den Armen und Beinen machen Krankenhausaufenthal­ te notwendig. Sein Wunsch, einer regel­ mäßigen Arbeit nachzugehen, wird im­ mer wieder zu Nichte gemacht. Über die Wahrnehmung seines Körpers, das Spüren der Schmerzen und der Ge­ fühllosigkeit bekommt Reinhard all­ mählich Zugang zu seinen Emotionen und Ängsten und lernt sie auch zu be­ nennen und mit konkreten Situationen in Verbindung zu bringen. Um eine Ich-Stärkung, das emotionale Nachreifen zu fördern und zu ermögli­ chen, ist es für den/die BetreuerIn von großer Bedeutung, ein positives, „ent­ wicklungsfreundliches Beziehungsan­ gebot“ aufzubauen. Dabei ist es wichtig, die Lebensgeschichte eines Menschen mit einzubinden, gemeinsam Struktu­ ren zu erarbeiten, die Sicherheit geben, und den Betroffenen zum Ausdruck von Gefühlen zu ermutigen, um ein Verste­ hen und Einordnen zu ermöglichen. 2 Einzug auf Raten Erwin hat klare Wünsche und konkrete Erwartungen an seine Zukunft. Er möch­ te ineiner eigenenWohnung leben,einer gesicherten Arbeit, die ihm Spaß macht, nachgehen und damit ein regelmäßiges Einkommenverdienen,denFührerschein machen und imUrlaub durch Österreich reisen, um sein Heimatland auf eigene Faust zu erkunden. Um einen Übergang vom sehr einge­ bundenen Wohnen bei den Eltern bis hin zu seiner eigenen Wohnung zu er­ möglichen, beschließt Erwin, das Trai­ ningsangebot der intensiv ambulant betreuten Wohngemeinschaft in An­ spruch zu nehmen. Er möchte leben­ spraktische Tätigkeiten trainieren und lernen, seinen Haushalt zu organisieren. Er möchte Perspektiven für das eigene Wohnen entwickeln, um sie zum geeig­ neten Zeitpunkt umzusetzen. Erste Schwierigkeiten tauchen beim Einzug auf und lassen die inneren Ängs­ te erahnen: Aufgrund familiärer und or­ ganisatorischer Hindernisse verschiebt sich der Umzugstermin mehrmals. Die erste Zeit verbringt Erwin in der „inne­ ren Hängematte“, scheint das Leben ohne Druck von außen zu genießen und weicht den alltäglichen Anforderungen so weit als möglich aus. Die Anforderungen des Alltages, die An­ sprüche des Arbeitgebers zu erfüllen, das selbstständige Wohnen zu organi­ sieren und zu bewältigen, Zeit und die nötige Energie für Freizeitaktivitäten aufzubringen, lernen, mit dem vorhan­ denen Geld auszukommen, fordern von allen Betroffenen einen hohen Einsatz. Erwin zieht sich bei Überforderungen in sein „Schneckenhaus“ zurück, um die Konfrontation zu vermeiden. Die Erreichung konkreter Ziele wird hinaus­ geschoben, indem der Fokus auf neue Wünsche und zukünftige Ziele gerichtet wird. Dadurch wächst der innere Druck und verstärkt seine Handlungsblockade. Ein Ziel in unserer Arbeit ist es „Auto­ nomie in sozialer Gebundenheit“ 3 zu ermöglichen. Den Menschen bewegen zwei grundlegende Bedürfnisse: „Er will ein selbstbestimmtes, selbstent­ scheidendes, wirkkräftiges Individuum werden; und er sehnt sich nach unver­ brüchlicher Zugehörigkeit, nach sozialer Geborgenheit und emotionaler Über­ einstimmung mit den für ihn bedeut­ samen anderen Menschen. (…) Kurz, er will Autonomie entfalten und Symbiose erleben dürfen.“ 4 Wir erleben diese ge­ gensätzlichen Notwendigkeiten immer wieder in unserer Arbeit, weshalb wir bemüht sind, KlientInnen zu befähigen, eine weitestgehende Autonomie und Selbstbestimmung zu erreichen, Eigen­ verantwortung für das eigene Leben zu Angst hat viele unterschiedliche Gesichter ... ... und verbirgt sich oft hinter einer glänzenden Fassade!

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