ifs_zeitschrift_2-11

www.ifs.at Seite 8 Sie erinnern sich vielleicht an den Film „Angst essen Seele auf“ von Rainer Werner Fassbinder? Der Film beschäftigt sich mit zwei Fra- gen, die anhand der Geschichte von Ali, dem Marokkaner, und Emmi, der deut- schenWitwe und Putzfrau, erzählt wird. Ein ungleiches Paar in jeder Hinsicht: Er Ausländer und mehr als 20 Jahre jünger als sie, sie eine Frau jenseits der sechzig, der von ihrer Umgebung und von ihrer Familie jedes Anrecht auf ein Leben in Liebe abgesprochen wird. Die beiden lieben einander, wollen zusammen le- ben, heiraten und ein ganz normales Leben führen. Die Fragen, die der Filmmiteinander ver­ knüpft, beziehen sich auf die Liebe einer­ seits und das Einwirken der Gesellschaft auf die Seele andererseits. Die erste These des Films lautet, die Sprache der Liebe ist universell und kann von jedem gesprochen werden, wie different die Sprachen auch sein mögen. Die Liebe ist ein Gefühl, ein Affekt, ein unbewusstes Wissen vom anderen. Die zweite These ist geradezu gegenteilig, wodurch der Film seine Spannung erhält: Die Angst ist die Gegenwart des gesellschaftlich Anderen in der Seele des Einzelnen. Angst ist ein Gefühl, wie die Liebe, ein Affekt, aber im Unterschied zur Liebe kein Wissen, sondern im Gegenteil, ein Nicht-wissen-wollen dessen, was der Andere von mir will. Che voui? Was ist es, das du von mir willst? Habe ich, wonach du begehrst, kann ich geben, was immer das Objekt deinesVerlangens seinmag? Der Andere in dieser Frage ist nicht mein Gegenüber, sondern der Andere, der zu mir spricht und indem er spricht, die Normen, For­ derungen, Werte, kurz die symbolische Ordnung einer Gesellschaft repräsen­ tiert. Vom Begehren des Anderen nichts wissen wollen und zugleich den Appell des Anderen zu empfinden, das ruft jene Enge hervor, der das deutscheWort Angst seine Herkunft verdankt: Angust, Angest. „Das Begehren führt uns, so­ fern es in seinem Herzen Begehren nach Begehren, das heißt Versuchung ist, zu dieser Angst in ihrer ursprünglichsten Form zurück.“ (J. Lacan) Ein Engpass, der Pate steht für die typischen Formen der Angst, für die „Grundformen der Angst“, die das Leben der Menschen begleiten und die ihren ultimativen Ausdruck in der Angst vor dem Tod finden. Und für die alltäglichen Ängste ebenso wie für ihre pathologischen Geschwister wie Phobien, Angstneurosen, Panikatta­ cken u.a. bis zu den Leiden der von einer „objektlosen“ Angst überschwemmt werdenden Psychotiker: „Angst essen Seele auf“, sagt Ali an einer Stelle des Films, als die unmögliche Liebe an den Zugeständnissen und den Anpassungs­ leistungen, die Ali und Emmi an die For­ derungen ihrer Umgebung erbringen, zu scheitern droht. Ali spricht von See­ le ohne zu sagen, dass er an das Netz denkt, das die Seele zumindest für die moderne Psychologie ist, für die Freud mit seiner Lehre vom Unbewussten den Grundstein gelegt: Ein Geflecht von Er­ innerungsspuren, Bedeutungsträgern, Sinnstrukturen und Zeichenprozessen, das uns trägt und das uns prägt und das unser Begehren und unser Genießen strukturiert. Dieses Geflecht, das man als eine ur­ sprüngliche Form von Sprache bezeich­ nen kann, fließt ein, knüpft an, verbindet sich mit der Sprache, die wir sprechen, mit unserem Sprechen. Wenn Ali sagt, dass Angst Seele isst, dann spricht er von der Auflösung dieses Netzes, das uns trägt bzw. vom Fallen in die Löcher, die die Kehrseite der Verknüpfung sind. „Wenn es um die Angst geht, hat jede Masche, wenn ich das so sagen kann, nur dadurch Sinn, dass sie die Leere be­ lässt, in welcher es die Angst gibt.“ (J. Lacan) Seele essen Angst auf ist der Gegenpart zur Feststellung Alis, und der Weg, der sich anzeigt durch die Erfahrung der Abhängigkeit des Menschen vom Spre­ chen und der Sprache. Die Angst kann hinreichend zurückgestoßen und ver­ kannt werden durch die bloße Einschlie­ ßung in das eigene Ich, das sich in seiner Spiegelbildlichkeit selbst befriedigt und den Bezug zum Anderen, zur Seele, ab­ schneidet. Der Seele Rechnung tragen heißt, sich dem Netz anzuvertrauen, in dessen Maschen es die Angst gibt. Sich dem Netz anvertrauen heißt, sich ent­ lang der Verknüpfungen bewegen. Denn das wahrhafte soziale Band, das einzige, ist das Netz der unbewussten Sprache, das uns anruft, zu sprechen und uns als „Sprechwesen“ verbindet. ● Seele essen Angst auf Dr. Michael Schmid Leiter IfS-Beratungsdienste michael.schmid@ifs.at

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