ifs_zeitschrift_2-11

www.ifs.at Seite 9 Oft können wir die Angst übers Telefon wahrnehmen, die Angst der Frauen, wenn sie bei uns in der IfS-Frauennot- Wohnung anrufen. Sie erzählen sto- ckend, zusammenhangslos und verhal- ten über das, was sie erlebt haben, und über die Bilder ihrer Vorstellung, was als Nächstes passieren wird. Neben der Angst spüren wir oft auch die Schamder Frauen, wenn sie zum ersten Mal einer fremden Person über ihre Erniedrigun- gen, ihr „Ausgenutzwerden“, ihren psy- chischen Terror und ihre körperlichen Gewalterfahrungen berichten. Die Angst, die Frauen bemächtigt, mit uns in Kontakt zu treten, möchte ich als die instinktiv schützende Angst be­ zeichnen. Sie macht die Frauen darauf aufmerksam, Vorsichtsmaßnahmen zu treffen und Hilfe zu holen. Diese Qua­ lität der Angst lässt die Frau wachsam sein, befähigt sie, Veränderungen im Verhalten des „Täters“ frühzeitig wahr­ zunehmen, um rechtzeitig den Ort des Geschehens verlassen zu können. Angst als ständiger Begleiter Die andere Angst, jene, die stumm macht, die Ohnmacht spüren lässt, jene, die das Selbstbewusstsein erschüttert und das Handeln wider jeder Vernunft leitet, diese Angst schützt nicht, sondern zerstört. Dieses Angstgefühl ist diffus, ständiger Begleiter, oft nicht in Worte zu fassen – über diese Form der Angst zu sprechen ist noch beschämender. Diese Angst verhinderte, nicht schon früher etwas unternommen zu haben, hat bewirkt, dass womöglich über eine lange Zeit Entschuldigungen/Rechtfer­ tigungen für das Verhalten des Partners und für das eigene Verhalten gesucht und gefunden wurden. Wie schwer ist es, sich selbst eingestehen zu müssen, dass eigenes Unvermögen die Gewaltsi­ tuation lange Zeit begünstigt hat. Noch schwerer ist es, das scheinbare Versagen öffentlich zu machen. Und für die Frau­ en wird es öffentlich, wenn sie sich an eine Institution wenden, umHilfe zu ho­ len. Allein die Tatsache, dass sie die ge­ meinsame Wohnung verlassen, schafft Aufmerksamkeit im sozialen Umfeld. Es wird gefragt und geredet und nach Er­ klärungen gesucht. Frauen, die über eine längere Zeit in ei­ ner Gewaltbeziehung lebten, haben das Vertrauen in ihre eigene Urteils- und Entscheidungsfähigkeit verloren. Der Aufenthalt in der IfS-FrauennotWoh­ nung kann Zeit und Raum bieten, diese Eigenschaften wieder zu entwickeln. Während des Aufenthaltes erfahren un­ sere Klientinnen, dass ihre Reaktionen (Gefühle und Verhalten) den Umstän­ den entsprechend „normal“ gewesen sind.Wenn eine Klientin diese Botschaft annehmen kann, dann kann sie sich auch mit den scheinbaren Defiziten der Vergangenheit versöhnen.Die Befreiung aus den Selbstvorwürfen setzt die Ener­ gie frei, die für den Prozess der Trennung und des Neuanfangs notwendig ist. Angst inWorte fassen Das Gebot der Verschwiegenheit für al­ les, was die Klientin uns erzählt, hilft den betroffenen Frauen über ihre Erlebnisse zu berichten. Der Versuch, die Angst in Worte zu fassen und sie auszusprechen, bewirkt Distanz – und wenn diese Dis­ tanz zur Angst spürbar wird, kann an ihr gearbeitet werden. Die Ohnmacht verbreitende Angst kann jedoch wieder kommen, schleichend und den eingeschlagenen Weg in Frage stellend. Fragen wie: - Bin ich nach einer Trennung wirklich sicher vor meinem Partner? - Habe ich genügend „Fähigkeiten“, um existentiell gut für mich sorgen zu kön­ nen (für Frauen, die mehrere Jahrzehn­ te für Ehemann und Kinder gesorgt und deshalb auf eine Berufstätigkeit verzichtet haben, ist dies nicht selbst­ verständlich)? - Wie werden die Kinder, meine Her­ kunftsfamilie, meine Freunde auf die neue Situation reagieren? - Wie komme ich mit dem Alleinsein zu­ recht? Unsere Klientinnen stellen sich fort­ laufend diese Fragen und irgendwann kommt die Angst und je stärker sie wird, umso fragwürdiger werden die Ziele von Trennung und gewaltfreier Zukunft. Und wir wissen um diese Ängste, weil sie normale Reaktionen auf die beson­ dere Situation unserer Klientinnen sind. Wir versuchen, die Ängste bewusst zu machen, und wir nehmen sie ernst, auch darum, weil jeder von uns die Angst in ihren unterschiedlichen Ausprägungen kennt. ● facts IfS-FrauennotWohnung das frauenhaus in vorarlberg 6850 Dornbirn Postfach 187 T 5572/29304 (rund um die Uhr) E fraunennotwohnung@ifs.at Cäcilia König IfS-FrauennotWohnung caecilia.koenig@ifs.at Wenn Angst dich zur Flucht zwingt ... Ohnmächtige und doch schützende Furcht vor Gewalt in den eigenen vier Wänden

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