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www.ifs.at Seite 4 Auszug aus dem von Gerhard Wanner und Johannes Spies verfassten Buch über Geschichte und Jugend in Vorarlberg bis 1914 und über die Geschichte des Jagd- bergs (Rheticus-Schriftenreihe 57; Präsentation am 28. Nov. 2012, 19 Uhr im Kuppelsaal der Vorarlberger Landesbibliothek) Begriffewie Kindheit und Jugend in heu- tigem Sinne entstanden in Vorarlberg erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Kinderwurden,sobald sie arbeiten konn- ten, beinahe als Erwachsene behandelt. Die Folgen waren Kinderarbeit in den Textilfabriken, in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, in der Heimstickerei und schließlich im fernen „Schwabenland“. Schule und Bildung waren Nebensache, möglichst frühe Erwerbsarbeit stand im Mittelpunkt, sie sollte auch von „Las- tern“ aller Art abhalten. Ein Großteil der Frauen mit Kindern war ebenfalls berufstätig, dann gab es uneheliche Kinder vor allem im neu entstandenen Industrieproletariat, Pro- stitution durch Scharen von Bettlern, Hausierern, „Karrenzieher“ und Zigeu- ner – eine wahre „Landplage“. Dazu ka- men Kindesweglegungen verzweifelter Frauen, Waisenkinder von im Kindbett frühverstorbenen Müttern. Wohin mit deren Kindern? Allmählich setzten sich in gebildeten Kreisen Vorstellungen von Pädagogik durch, erbarmte sich die ka- tholische Kirche und fürchtete um das Seelenheil der Kleinen und schließlich zeigten auch Unternehmer soziales Be- wusstsein. Und so entstanden in Österreich und auch in Vorarlberg die ersten Sozialein- richtungen. Den Anfang machte Bre- genz mit einem Waisenhaus 1869. In anderen Orten wurden Waisenkinder, aber auch uneheliche und ausgesetzte Kinder in „Gemeindespitälern“, Alters- und Armenhäusern untergebracht. Der Industrialisierungsboom in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts mach- te Frauenarbeit immer mehr zur Not- wendigkeit. In den Fabriksgemeinden Vorarlbergs musste man daher für die Versorgung der Kinder dieser Frauen etwas unternehmen. Es entstand eine Reihe von „Kinderbewahranstalten“, die jedoch keinen Bildungsauftrag besaßen, sondern die Funktion hatten, Kinder lediglich an Reinlichkeit, Ordnung und „gute katholische Sitten“ zu gewöhnen. Es waren Einrichtungen für Unterschich- tenkinder. Davon abgehoben entstan- den in den 70er-Jahren in den Städten Kindergärten, die Kinder aus den Mit- telschichten auf die Schule vorbereiten sollten. Taubstumme und blinde Kinder fan- den in Vorarlberg keine Betreuung, für sie gab es Einrichtungen in Tirol und Wien. Das wohl größte Problem stellten „sittlich verwahrloste Kinder“ dar. Für sie wurde 1886 die Erziehungsanstalt Jagdberg bei Schlins errichtet. Trotz aller schönenWorte und auch des gutenWil- lens der Stifter und geistlichen Betreuer hatte die dortige Erziehung weitgehend den Charakter der Strafe und harten Sühne für „Vergehen“. Mit dem Rückgang der Kinderarbeit ent- stand mehr Freizeit, vor allem während der Sommermonate. Um Kindern aus den armen Unterschichten zu helfen, entstanden Ende des 19. Jahrhunderts sogenannte Ferienkolonien auf Alpen bei guter Luft und gesunder Ernährung. Die ersten Gründungen gingen von Bre- genz, Dornbirn und Feldkirch aus. Im katholisch-konservativen Vorarlberg wurde Freizeit für Kinder und Jugendli- che als Ursache oder Versuchung zu sitt- lichen Verfehlungen angesehen. Für die ausgeschulte, meist schon arbeitstätige und „gefährdete“ Jugend ab 14 Jahren wurde die „Sonntagsschule“ als erziehe- rischeGegenmaßnahmeeingeführt.Der Sonntag war ausgefüllt: Morgens heili- ge Messe, nachmittags „Christenlehre“ und im Anschluss daran zwei Stunden Schule mit Schwerpunkt Religionslehre. Für „Dummheiten“ und Wirtshausbe- such blieb nicht mehr viel Zeit. ● Die Anfänge der Kinder- und Jugendfürsorge in Vorarlberg im 19. Jahrhundert Dr. Gerhard Wanner, geb. 1939, ist Univ.Prof. der Universität Pécs/Ungarn sowie Geschäftsführer der Rheticus-Gesellschaft. Firma Franz Martin Hämmerle, Steinebach, Abteilung Rauherei. Arbeitender Junge (rechte Bildseite) ca. 1900, Stadtarchiv Dornbirn FerienheimMaien, Betreuer und Kinder ca. 1900, Stadtarchiv Dornbirn Zwei Hütebuben auf der Alpe Aufnahme zw. 1888 – 1903,Theodor Rhomberg, Dieter Leuze/Repro Stadtarchiv Dornbirn Redemptoristenkloster, Haselstauderstraße 22 von 1920 bis 1945 städtisches Waisenhaus ca. 1900, Stadtarchiv Dornbirn
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