ifs Zeitschrift 2014/2

23 Herbst 2014 Freiheitsbeschränkungen sind zwar das letzte Mittel, aber eben doch nicht verzichtbar, wenn es darum geht, eine Gefahr für Leben oder schwere Gesundheitsschädigung bei Menschen mit psychischer Krankheit oder kognitiver Beein- trächtigung zu minimieren. Auch bei aufrechten Beschränkungen der Bewegungsfreiheit gibt es immer noch Möglichkeiten, die ein mehr an Freiheit für unsere Klientinnen und Klienten zulassen. Die nachfolgenden Fallbeispiele aus der Praxis der ifs Bewohnervertretung sollen das beweisen. Fallbeispiel Pflegeheim Frau X. ist 87 Jahre alt und lebt seit einem Jahr in der Dementenstation eines Pflegeheims. Sie ist voll mobil, auffallend ist eine extreme Angetrie- benheit am Abend. Häufig geht sie desorientiert in andere Stockwerke oder verlässt das Heim. Die meisten Türen sind Fluchttüren und dürfen nicht versperrt werden. Manchmal klettert sie über den Gartenzaun, um „nach Hause zu gehen“. Sie achtet nicht auf den Straßenverkehr und ist oft mangel- haft bekleidet. Zwei Pflegepersonen sind abends bei anderen Bewohnern im Zimmer beschäftigt und bemerken das Fehlen von Frau X. erst nach einiger Zeit. Die Einrichtungsleitung ordnet zwei Freiheitsbe- schränkungen an: das Zurückhalten der Bewoh- nerin und das Verstellen der Ausgangstür des Wohnbereichs mit arretierbarem Badelifter oder Lehnstuhl. Die verbale Reaktion von Frau X. nach Aufklärung über die Freiheitsbeschränkungen: „Ich lasse mich in meinem eigenen Haus doch nicht einsperren!“ Wegen des eindeutigen Rechtsschutzwunsches der Bewohnerin und der zweifelhaften Eignung der Freiheitsbeschränkungen beantragt der ifs Bewohnervertreter die gerichtliche Überprü- fung. Der erfahrene Pflegesachverständige führt in seinem Gutachten aus: „Frau X. ist im Straßen- verkehr erheblicher und ernstlicher Selbstgefähr- dung ausgesetzt. Man kann sie nur mit großen Mühen abhalten, das Pflegeheim zu verlassen. Das Pflegepersonal wird sie in solchen Situationen einschränken müssen. Ein GPS-Ortungssystem würde ihren genauen Aufenthaltsort anzeigen und man könnte einen ‚freien‘ Bewegungsraum ermöglichen. Gegen die Ausweitung der Betreu- ung in den Abendstun- den sprechen nur wirt- schaftliche Gründe.“ Das Gericht erklärt das Verstellen der Wohn- bereichstüre für unzulässig und das Hindern am Verlassen des Heimbereichs durch Zurückhalten für die Dauer von längstens sechs Monaten für zulässig, mit der Auflage ein GPS-Ortungsgerät anzuschaffen und eine Betreuungsperson für die Bewohnerin zwischen 17 und 21 Uhr abzustellen. Das GPS-System wird von der Einrichtungsleitung Wie schafft man Freiräum e trotz Freiheitsbeschränkungen? Fallbeispiele aus der Praxis „Ich lasse mich in meinem eigenen Haus doch nicht einsperren!“

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