ifs Zeitschrift 2014/2
wie 24 rasch angeschafft und zusätzlich ein Türalarm- system für die Abendstunden. Frau X. trägt einen Sensor an der Hose, der erst dann alarmiert, wenn sie das Gelände des Pflegeheims verlässt. Unter- tags kann sie sich frei im Heim und im Garten bewegen. Der Einrichtungsträger schließt einen Vertrag mit dem örtlichen Mobilen Hilfsdienst über die täg- liche Bereitstellung einer Betreuungsperson von 17 bis 21 Uhr. Frau X. nimmt dieses zusätzliche Betreuung- sangebot gut an. Die Gefahr, im Straßenver- kehr schwer verletzt oder gar getötet zu werden, hat sich durch die Umsetzung der Auflagen minimiert. Durch die verbindliche Begleitung reduzieren sich auch Aggressionssitua- tionen, die früher durch verstellte Türen und häu- figes Zurückhalten innerhalb des Heims häufig waren. Fallbeispiel Wohngemeinschaft für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung Herr Y. ist 45 Jahre alt und lebt schon seit 30 Jah- ren in einer Wohngemeinschaft für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung. Diverse Sachver- ständige stellten eine schwerste geistige Behinde- rung fest. Seit seiner Kindheit zeigt Herr Y. herausfordernde Verhaltensweisen wie lautes Schreien und Selbst- verletzungen, indem er sich z.B. in den Arm beißt, sich die Haare ausreißt oder mit dem Kopf gegen die Wand schlägt. Auch andere Mitbewohner kratzt, zwickt oder umklammert er. Wenn in sol- chen Situationen keine anderweitige Beruhigung gelang, wurde er ins WC gesperrt, wobei die Selbst- verletzungen auch dort nicht aufhörten. Im Rahmen eines gerichtlichen Überprüfungs- verfahrens wird zunächst auf Grundlage eines ärztlichen Gutachtens die Auflage erteilt, einen gepolsterten, von außen einsehbaren Raum ein- zurichten, in dem Herr Y. sich beruhigen kann. Die Einrichtung teilt sein Zimmer in einen Wohn- und einen sogenannten „Time-Out-Raum“ ein, der von außen verschließbar ist und ein Fenster hat. Die Idee dieses Raumes besteht darin, dass Herr Y. sich in einer für ihn sicheren Umgebung beruhigen und weder sich noch seine Mitbewohner verletzen kann. Allerdings schreit er in diesem Raum weiter und beruhigt sich erst nach längerer Zeit durch Erschöpfung. Die ifs Bewohnervertreterin stellt neuerlich einen Überprüfungsantrag und die heilpädagogische Sachverständige entwickelt weitere Hypothesen, wie durch betreuerische Zuwendung Wut- und Schreianfällen präventiv begegnet werden kann. Ein ständiges Einsperren als Reaktion auf diese Anfälle kommt für sie auf Dauer nicht in Frage, weil sie darin eine Wiederholung traumatisie- render Trennungserfahrungen in seiner Kindheit sieht. Die Zuwendung durch Betreuungspersonen und wiederkehrende Rituale, die ihm Sicherheit geben, sollen nach ihrer Einschätzung langfristig zu einer Verhaltensänderung führen. Die Erfahrung nach nun doch schon einigen Jahren zeigt, dass Herr Y. den „Time-Out-Raum“ inzwischen als seinen persönlichen Rückzugs- raum akzeptiert, den er mit Tüchern und seiner Bettdecke selber aufsucht und der auch nicht mehr zugesperrt werden muss. Somit ist aus einem ursprünglichen Einsperrraum ein Freiraum geworden. Fallbeispiel Krankenhaus Frau Z. hat sich kürzlich bei einem Sturz den Oberschenkelhals gebrochen. Sie ist dement, weiß nicht, wo sie ist und warum. Sie wehrt jegliche notwendige Pflegehandlung mit Schlagen, Treten, Beißen oder Zwicken ab. Sie hantiert an der Opera- tionswunde herum, zieht sich den Dauerkatheter heraus und würde ständig aufstehen, weil sie aus der bedrohlichen Umgebung flüchten will. Sie darf „Somit ist aus einem ursprünglichen Einsperrraum ein Freiraum geworden.“
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