ifs_zeitschrift_3-11

www.ifs.at Seite 10 Nach verschiedenen Aufenthalten in unterschiedlichen Institutionen wurde Anna in der IfS-Sozialpsychiatrischen Intensivbetreuung (SIB) aufgenommen. Zu Beginn bestimmten Angst und Ver- weigerung die Betreuung, denn diese bedeutete für Anna einen erneuten Wechsel und somit einen weiteren Be- ziehungsabbruch. Annas Verhalten wird zum Großteil durch Gefühle, Stimmungen und innere Zustände gesteuert, die sie oft impulsiv ausdrückt. Sie kann sehr schnell zwi- schen Gefühlslagen hin und her kippen, von stinksauer zu lachend, von ableh- nend zu erfreut, aber eben auch genau- so schnell in aggressiv-reaktives Ver- halten. Bei Wut, Stress, Ärger oder auch bei Frustration und Hilflosigkeit verfällt Anna schnell in ihre Reaktivität, wird verbal ausfallend, schreit herum, knallt auch schon mal Türen, greift verbal oder tatsächlich an. Auf Forderungen reagiert Anna meist mit Rückzug und Verweigerung. Gren- zen und klare Konsequenzen sind für sie sehr schwer zu ertragen,würden ihr aber gut tun und Halt geben. Annas Abwehr- muster sind vorwiegend Verweigerung, Rückzug oder impulsive Aggression. Da- bei sind „die anderen schuld“, das heißt, eigene Anteile werden nicht gesehen. Anna wurde früh von ihren Eltern ver- lassen, dadurch verspürt sie eine tiefe Sehnsucht nach Akzeptanz und Gebor- genheit. Leidvolle Orientierungslosigkeit So wie Anna geht es vielen KlientInnen, die in der IfS-Sozialpsychiatrischen In- tensivbetreuung landen. Junge Men- schen mit frühen Beziehungs- und Bindungsabbrüchen, ausgeprägten psy- chischen, verhaltensbeeinträchtigenden Störungen und persönlichkeitsstruktu- rellen Defiziten. Sie erleben auf leidvolle Weise Orientierungslosigkeit, Gekränkt- heit sowie Hass und reagieren darauf mit für alle Beteiligten überflutenden Aggressionen und Gewalt. Bisher wurde ihnen oft mit starren Grenzsetzungen begegnet und ange- nommen, dass sie sich anhand der von außen gesetzten Grenzen „im Zaum halten“ können bzw. sich besser anzu- passen lernen. Allerdings scheiterten diese Versuche meist und so kam es wiederholt zu massiven Eskalationen und dem Erleben, dass dem eigenen dissozialen Verhalten wiederummit Ab- lehnung und Gewalt, auf welche Art und Weise auch immer, begegnet wurde. Die Spirale von wechselnder Gewalt- und Machtausübung begann unaufhörlich zu rotieren. Muss man, kannman oder darf man die- sen Menschen überhaupt mit Grenzset- zungen gegenübertreten? Oder muss man nicht vielmehr die gängigen Gren- zen überwinden? Wozu sind Grenzen eigentlich gut? Das Beispiel einer Schale Eine Schale hat zwar eine Formund Kon- stitution (hart, stabil, fest), aber an sich weder eine Bedeutung noch einenWert. Füllen wir die Schale mit Inhalt, so wird sie formgebend für den Inhalt und stellt eine Grenze sowohl nach außen (z.B. Schutz vor Einflüssen, Möglichkeit des eigenen Ausdrucks, Filter) als auch nach innen (z.B. vor Verlust des Inhalts, form- und haltgebend) dar. Die Schale gewinnt durch ihren Inhalt an Bedeutung. Der Wert der Schale ergibt sich erst in Abhängigkeit zur Bedeutung des Inhalts (ist die Form z.B. ungeeignet für die Bedeutung Trinkwasser, so ver- liert sie an Wert als Trinkwassergefäß, ist die Form ungeeignet zur adäquaten Kommunikation, so verliert sie an Wert als Mittel des Selbstausdrucks).Wird der Mensch als Schale begriffen, so besteht dabei die Gefahr, dass bei einer Ableh- nung der Darstellung des Schaleninhalts der Mensch dies oft als Ablehnung des Inhalts, sprich seines Selbst interpretiert bzw. erlebt. Gleich verhält es sich mit dem Inhalt. Fülle ich die Schale z.B. mit Wasser, so hat das Wasser zwar eine Konstitution (dickflüssig, kalt, warm etc. im Sinne ei- ner körperlichen Empfindung), hat aber an sich weder eine Bedeutung noch ei- nen Wert. Auch jedes Verhalten ist zu- nächst neutral. Wir können diesem In- halt Bedeutung geben (z.B. Trinkwasser, Waschwasser – im Sinne von Assoziatio- nen, Gefühlen) und einen Wert beimes- sen, der jedoch situationsgebunden ist. Trinkwasser hat z.B. in der Wüste einen anderenWert als bei einem Tauchgang. Aus der Summe der Attribute Form, Konstitution, Bedeutung, Wert etc. er- gibt sich ein Sinn, der individuell und nur direkt erfahrbar ist; d.h. aber auch: „Der Sinn einer Situation, einer Metho- de, eines Konzeptes kann in der momen- tanen Lebenssituationen eines anderen für diesen völlig sinnlos sein!“ Zerfällt andererseits die Schale, zer- bricht die Form (durch zu viel Druck, For- derungen) oder wird sie sogar zerstört Wo ist Anna? Neue Wege einer stationären Betreuung

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