ifs_zeitschrift_3-11

www.ifs.at Seite 11 (durch Ignoranz, Ablehnung, Gewalt), so fällt der Inhalt auseinander, verliert sich. Findet dies (wiederholt) während eines Prozesses zur Bildung innerer Struktur (Identifikation) statt, so zerfällt dieses empfindliche Gebilde. Es können sich keine stabile, adäquate Form und keine inneren Strukturen bilden und es muss ein Ersatz „konstruiert“ werden, um die Integrität des gesamten Systems zu ge- währleisten. Da dieses künstliche Konstrukt oft nicht wirklich stabil und adäquat ist, da ihm die natürliche Basis fehlt, muss es mit sehr großem Aufwand stabil gehalten werden und bedroht (sowie dominiert mitunter) ständig das Gesamtsystem Mensch. Wird dieses Konstrukt angegriffen oder ist es zur Erreichung von Zielen nicht brauchbar (adäquat), so droht das Gebil- de zu zerbrechen und der Mensch erlebt den Verlust seiner Identität. Gibt es au- ßerdem keine anderen Strukturen, auf die der Mensch imMoment ausweichen kann, so droht der Verlust der Funktion des gesamten Systems. Da dies existen- tiell als höchst bedrohlich erlebt wird, wird der Mensch mit allen ihm zur Ver- fügung stehenden Mitteln versuchen, dies zu vermeiden (Aggression, Gewalt, Rückzug, Regression etc.). Das Innenleben steht im Vordergrund Auf Kränkungen reagiert Anna oft hilf- los und wütend, wenn man allerdings bei ihr bleibt und sich als Gesprächs- partner anbietet, ihr Zeit lässt, zeigt sie Verletzlichkeit und Tränen. Sie ist dann richtig verzweifelt und es ist wichtig, dass jemand da ist und sie versteht. Ansonsten kommt sie in eine wütende Abwehrhaltung oder in totale Verwei- gerung, wobei sie auch eigene Nachteile in Kauf nimmt oder freundlich gemein- te Unterstützung ablehnt. Beruhigung erfolgt im Kontakt, kann einfach aus der Wut ins Lachen kippen, wenn sie „ertappt“ bzw. gesehen /„erkannt“ wird. Nach Verweigerung und Ablehnung, in welcher sie sich akzeptiert erlebt, kann sie gut wieder in Kontakt treten, kann sie das Gewesene anschauen und ge- meinsam neue Wege (Strukturen) und Möglichkeiten des Ausdrucks (Formen) ausprobieren. Der Fokus der Arbeit richtet sich auf den Inhalt der Schale. In der täglichen Arbeit der Sozialpsychiatrischen Intensivbe- treuung versuchen wir einerseits die „Form des anderen zu wahren“ – durch beständiges Da-Sein und Da-Bleiben Vorhandenes zu stabilisieren – ohne „Falsches“ zu unterstützen, sodass das Bestehende nicht zerbricht; anderer- seits aber auch begrenzte und begrenz- ende Strukturen ausklingen zu lassen und durch wiederholtes Vorleben in der Beziehung neue Wege zu vermitteln und zu erarbeiten, um das Wachstum innerer Struktur zu ermöglichen und adäquate Formen des Selbst-Ausdrucks zu erlernen. Anna kann mittlerweile Nähe und Um- armung gut annehmen, sucht diese zeitweise, genießt es, kann sich auch gut wieder lösen. Wenn sie Unterstützung möchte, ist sie fähig, Hilfe einzufordern. Seit der SIB-Betreuung hat sie Hoffnung geschöpft. Sie sucht ganz deutlich Hilfe und will gesehen werden, Aufmerksam- keit erhalten, kann das aber im Mo- ment noch großteils nur über Umwege äußern. Ihre innere Entwicklung hat Fortschrit- te gemacht (der Inhalt der Schale hat sich verändert) und sie hat sich stabili- siert (die Schale hat mehr Konsistenz, ist tragfähiger geworden). Sie kann ihr Ver- halten reflektieren, ist konfliktfähiger und zeigt erste Ansätze von Selbstver- antwortung und Selbstwirksamkeit (Auswirkung ihres Handelns). In den Beziehungen zu den BetreuerIn- nen ist einerseits ein tragfähiges Bünd- nis entstanden und andererseits sind klare einzelne Beziehungsgestaltungen möglich. Für Anna ist im Grunde ein zu Hause entstanden, mit Rückzugsmöglichkei- ten, Sicherheit und dem Gefühl von Ge- borgenheit. Ein guter Boden für neue Anforderungen von innen sowie außen, der auch Konflikten standhält und sich somit ein neues Feld öffnet für weitere Prozesse. ● Dr. Martina Gasser Peter Schmuck facts IfS-Sozialpsychiatrische Intensivbetreuung Leitung: Dr. Martina Gasser Interpark FOCUS 1 6832 Röthis T 05523/52176 E martina.gasser@ifs.at

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