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www.ifs.at Seite 13 Hat die Gesellschaft den falschen Umgang mit dem Tod? Wir verstecken den Tod. Der Tod ist aus der Gesellschaft verschwunden, in die Institutionen hinein. Man kann sagen: ‚Wir haben den Tod getötet.‘ Vor 100 Jahren sind alle zu Hause gestorben und alle Familien hatten Erfahrungen mit dem Tod. Aber heute sieht es völlig an- ders aus. Die meisten sterben entweder im Krankenhaus oder in Pflegeinstituti- onen, in Vorarlberg aber Gott sei Dank noch viele zu Hause. Aber das heißt auch, dass eben viele Familien mit die- sem Thema keine Erfahrungen haben. Dabei muss das wieder ein Thema wer- den, in der Familiendiskussion, auch in den Medien, auch im Fachmilieu. Warum ist das denn so wichtig? Es hat ein dänischer Dichter einmal gesagt: ‚Es ist mehr Leben im Leben, wenn der Tod dabei ist.‘ Wenn wir auf- gefangen und reflektiert haben, dass das Leben nicht unendlich ist, dass es einen Anfang gibt und ein Ende, dann werden viele von uns andere Prioritä- ten setzen. Auch in der Frage, was der Sinn des Lebens ist. Und das ist eine zentrale Frage am Ende des Lebens. Es wäre wichtig, dass diese Reflexionen in Gang kommen. Und das früh genug. Wenn wir unsere Kinder heute fragen, ob sie schon einmal jemanden sterben gesehen haben, dann ist deren Antwort, dass sie das schon mehrere tausendmal gesehen haben. Im Fernsehen, im Kino. Mord, Krieg, Terror, Katastrophen. Aber sie haben nicht gesehen, dass Großmut- ter friedlich zu Hause gestorben ist. Nur: Wenn man es schafft, offene Gespräche zu führen, sagen viele Familien, dass die letzte Lebensphase die wichtigste Zeit überhaupt war, die man gemeinsam verbracht habe. Sie begleiten Menschen in ihren letzten Stunden, Tagen,Wochen. Und plädieren für einen würdevollen Umgang. Für die meisten Menschen bedeutet Würde Autonomie und Selbstbestim- mung. Wir wollen entscheiden, welche Zahnbürste wir benutzen, ob wir nach Norwegen oder in den Süden fahren. Max Frisch drückte diese Freiheit so aus: ‚DieWürde liegt in derWahl.‘ Das ist den meisten von uns auch möglich. Aber dann gibt es eine große Gruppe von al- ten und dementen Menschen, die nicht mehr wählen können. Die nicht mehr in der Lage sind, Entscheidungen zu tref- fen, weil sie die Situation nicht mehr verstehen. Philosophen haben gefragt, ob Menschen ohne Selbstbestimmung noch Würde haben – sich Gott sei Dank aber weitgehend darauf geeinigt, dass auch Menschen, die nicht mehr bestim- men können, Würde haben. Aber diese Würde muss von anderen gesehen und respektiert werden! Fordern Sie deshalb von Ihren Pflegern, dass sie sich eingehend mit der Geschichte eines jeden Patienten beschäftigen? Ja. Ich will, dass die Familie Bilder mit- bringt, dass diese Bilder auch aufge- hängt werden. Und dass man dann den Kranken fragt, was diese Bilder bedeu- ten. Immer und immer wieder sehe ich, wenn ich einen sprachlos Dementen vor mir habe und auf ein Bild zeige, dass seine Augen leuchten. Weil er begreift, dass ich frage, wer das ist, dass ich mich dafür interessiere – auch wenn er nicht antworten kann. Das gibt ihm etwas. Sie sind ein Kenner der Pflege in Vorarlberg. Vorarlberg ist in Bezug auf Pflege und Würde im Alter Österreichs bestes Bundesland. Entwicklungsmöglichkei- ten gibt es trotzdem. Ich möchte allen alten Menschen sagen können: ‚Wenn du alt wirst, wenn du viele Krankhei- ten und viel Schmerz hast, bekommst du gute Pflege, gute Behandlung und wenn notwendig auch einen guten Pflegeheimplatz.‘ Ich möchte sagen können, ‚wenn du sterbend bist, werden wir das Sterben nicht verlängern. Wir werden deinen Willen respektieren, du wirst Schmerzmittel bekommen, dass du nicht unnötig leidest.‘ Um das in Ös- terreich sagen zu können, ist es noch ein weiter Weg. Es gibt engagiertes Fach- personal. Doch das allein reicht nicht aus. Das gesamte Fachpersonal muss diese Perspektiven und diese Kompe- tenzen haben. Und sie werden viel mehr Pflegebetten brauchen, 1600 allein in Vorarlberg. Oder Alternativen schaffen, etwa eine bessere Hauskrankenpflege. Denn die Anzahl der dementen Patien- ten wird sich verdoppeln, von derzeit zwei Prozent der Bevölkerung auf vier Prozent im Jahr 2040. Allein dieser Um- stand wird heute schon eine aktive Stra- tegie brauchen. ● Zur Person: Prof.Dr. Stein Husebø (*11.Oktober 1944) ist Leiter der Abteilung für Schmerztherapie und Pal- liativmedizin am Uniklinikum in Bergen, Norwegen. Husebø, verheiratet mit der deutschen Ärztin Bettina Sandgathe Husebø, studierte Medizin in Lübeck und Graz. Husebø hat 6 Kinder und wohnt in Bergen. Er ist Autor mehrerer Bücher, ein international renom- mierter Arzt, Gründer und Leiter des Würdezentrums in Bergen. Das Interview führte Andreas Dünser, stv. Chefredakteur der Vorarlberger Nachrichten. Wir danken für die Möglichkeit der Veröffentlichung. Wir haben den Tod getötet Der norwegische Arzt Stein Husebø fordert Würde im Umgang mit dementen Patienten.

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