ifs_zeitschrift_3-11

www.ifs.at Seite 16 Wenige Jahre nach Kriegsende galt Vorarlberg bereits als goldener Wes- ten. Textilindustrie und Bauwirtschaft florierten und zogen in großem Maße Arbeitsuchende aus Innerösterreich an. Damals herrschte bei uns in Vorarlberg ein „gestörter Arbeitsmarkt“, wie sich das Statistische Amt der Vorarlberger Landesregierung ausdrückte, denn in der Textilindustrie wurden mehr als viermal soviel Stellen angeboten wie gesucht. In Dornbirn, dem Zentrum der Textilin- dustrie,war dieZuwanderungbesonders stark. 1966 waren von allen Einwohne- rinnen und Einwohnern Dornbirns nur 52,6% auch in Dornbirn geboren, 17,5% hatten ihren Geburtsort in Vorarlberg, 15,1% im übrigen Österreich und im Aus- land waren 14,8% geboren. Fast zwei Drittel aller aus Österreich Zugewan- derten kamen aus den Bundesländern Steiermark, Tirol und Kärnten. Viele der SteirerInnen und KärnterInnen kamen aus wirtschaftlich schwachen Gebieten, vor allem aus den Grenzge- bieten zum ehemaligen Jugoslawien. Karoline Schönett, eine gebürtige Stei- rerin, kam bereits 1947 nach Vorarlberg: „Ich habe in der Zeitung gelesen, dass in Vorarlberg Leute gesucht werden. Dar- unter war auch die Firma Hämmerle in Dornbirn. Ich hab dann geschrieben, so- fort den Expressbrief bekommen, dass sie mich nehmen, gekündigt und war dann in dreiWochen heraußen.“ Frau Schönett beschreibt das „Ankommen“ folgender- maßen: „Der Zug hat irrsinnig Verspä- tung gehabt, es war in der Nacht und wir haben 2, 3 Stunden am Bahnhof geschla- fen und uns in der Früh durchgefragt, wo die Firma Hämmerle, Steinebach sei. Und da gab es schon Sprachschwierigkeiten, weil wir die Hälfte nicht verstanden ha- ben. Oben haben wir dann die Papiere bekommen und wurden gleich im Mäd- chenheim einquartiert.“ Die Arbeit war für viele kein Problem, man/frau war einfach froh, eine Ar- beitsstelle zu haben. Schwierigkeiten gab es aber mit den VorarlbergerInnen. Der Umgang mit den aus Inneröster- reich Zugewanderten war durchaus mit jenem vergleichbar, unter dem bis dahin die SüdtirolerInnen hatten leiden müssen. August Weiß erinnert sich an die Reaktionen: „ Mein Bub wird nie eine Kärntnerin heiraten, das ist eine ganz andere Rasse, ein ganz anderes Blut.“ Allerdings gab es dieses Argument auf beiden Seiten: „Und dann habe ich Kärntner und Steirer kennen gelernt und die haben genau dasselbe gesagt, mein Sohn wird nie eine Vorarlbergerin heira- ten.“ Der Konflikt betraf nicht nur die zwischenmenschlichen Verhältnisse, die Vorarlberger Landesregierung plan- te einen eigenen Lichtbildausweis für innerösterreichische Zuwanderer. Dies wurde aber vom Verfassungsgerichts- hof verboten, deshalb stellte das Amt der Landesregierung ein dunkelgelbes, gefaltetes Kärtchen aus, nur eben ohne Lichtbild. Der bereits erwähnte August Weiß war auch Gewerkschafter. Er er- innert sich an die Gewerkschaftsver- sammlung 1957 in Feldkirch. Dort wur- de eine Resolution an die „Vorarlberger Nachrichten“ verabschiedet, die für eine Gleichbehandlung der Innerösterreicher eintrat: „Wenn ein Steirer oder Kärntner einen Einbruch gemacht hat, stand sein voller Name drinnen [in der Zeitung], bei Vorarlbergern wurden nur die Initialen veröffentlicht.“ Frau Schönett hat noch sehr persönli- che Erinnerungen an diese Zeit: „Einmal hatte ich einen Vorarlberger Freund, aber seine Eltern waren so ablehnend: ‚Ein an- ständiges Moatle geht nicht fort von da- heim.‘ Wir waren ja 16 Kinder, wir haben alle fort müssen von zuhause.“ Und ihr Resümee sagt viel aus: „Ja, als wir nach Vorarlberg gekommen sind, da waren die Südtiroler nicht viel wert. Dann waren wir nicht viel wert. Und als nach- her die Ausländer gekommen sind, sind wir immer mehr integriert worden. Und da hat niemand mehr was gegen uns ge- habt.“ Mag.Werner Matt Direktor des Stadtarchivs Dornbirn Der Katalog zur Ausstellung „Migrationen in der Ge- schichte Lustenaus“ ist in den Lustenauer Buchhand- lungen sowie in der Galerie Hollenstein, im Histori- schen Archiv und im Kulturreferat der Marktgemeide Lustenau zum Preis von € 8,– erhältlich. Mein Bub wird nie eine Kärntnerin heiraten Grenzen zwischen Menschen am Beispiel der Vorarlberger Nachkriegszeit

RkJQdWJsaXNoZXIy NTQ2MDY0