ifs_zeitschrift_3-11

www.ifs.at Seite 17 Wir haben ein Leben lang mit dem The- ma Grenzen zu tun und zwar immer dann, wenn wir mit anderen Menschen in Beziehung treten, also im Beruf, in der Familie, im Bekannten- und Freun- deskreis. Ganz besonders sind wir dies- bezüglich im Alltag mit Kindern gefor- dert. Wir sind dabei vielen Ansprüchen ausgesetzt – den eigenen und solchen von außen. Und die Vielzahl an Ratge- berliteratur führt eher zu völliger Orien- tierungslosigkeit und Ohnmacht, als es uns leichter zu machen. Früher herrschte Einigkeit darin, was richtig und was falsch ist. Heute bekom- me ich von Eltern oft das Gefühl vermit- telt, dass sie zwischen unterschiedlichen Erziehungskonzepten und -methoden wie auf instabilen Inseln hin und her springen. Reagiere ich zu streng? Was sage ich meiner 12-jährigen Tochter, wenn sie ein Piercing will? Was mache ich mit meinem 2-jährigen Sohn, wenn er nicht schlafen will? Wie viel darf ich zulassen (erlauben), damit sich mein Kind frei entwickelt? Bin ich ein pädagogischer Versager? Meine größten Lehrmeister in puncto Grenzen waren und sind meine beiden Töchter. Beide waren als Kleinkinder voller Energie und Tatendrang und von einer unerschöpflichen Kreativität. Ein Beispiel: Da meine Frau und ich beide berufstätig waren, brachte ich die Jün- gere einmal in der Woche vormittags in eine Spielgruppe. Beim Hinbringen klappte es meist recht gut, einige weni- ge Male gab es auch Tränen, vor allem zu Beginn. Beim Abholen und auf dem Weg zum Bus kam es scheinbar unver- meidlich zum Machtkampf zwischen meiner Tochter und mir. Sie machte sich steif, gab ihrem Protest auch lautstark Ausdruck und brachte mich an meine Grenzen. Und das jedes Mal. Ich habe alles Mögliche versucht: ihr gut zugere- det, sie fünf Minuten stehen gelassen, sie hochgehoben und zur Bushaltestelle getragen, aber sie auch mal fester an- gefasst. In allen Situationen fühlte ich mich als pädagogischer Versager, weil nichts nutzte und ich die ältere Tochter vom Kindergarten „pünktlich“ abholen musste. Heutemit einigen Jahrenmehr an Erfah- rung weiß ich, dass ich bezüglich dieses Vormittags Fremdunterbringungmeiner Tochter gegenüber zu wenig klar war. Heute würde ich ihr die Situation mit Hilfe einer Geschichte erläutern, würde andere Absprachen mit dem Kindergar- ten treffen und vor allembesser auf mei- ne persönlichen Grenzen achten. Eine Erfahrung aus dieser Geschichte: Wir brauchen Mut, um zu den eigenen Grenzen zu stehen, aber auch den Re- spekt vor den Bedürfnissen und Gren- zen unserer Kinder. Kinder brauchen El- tern, die ihnen vertrauen. Sie brauchen auch Eltern, die mehr oder weniger wis- sen, was sie wollen. Die Betonung liegt dabei auf demWissen und nicht so sehr auf demWas. Das führt dann dazu, dass sich Grenzen in der Familie aus persön- lichen Bedürfnissen ergeben und nicht aus abstrakten Konventionen. ● facts IfS-Kinder brauchen Antworten Dr. Karl Stürz Interpark FOCUS 1, A-6832 Röthis T +43 (0)5523 52176 M +43 (0)664 60884440 E karl.stuerz@ifs.at Glück kann man teilen, Sorgen auch IfS-Elternbildungsprojekt „Kinder brauchen Antworten“ unterstützt Sie dabei Buchtipp Jan-Uwe-Rogge: Das Neue Kinder brauchen Grenzen Ein Zweieinhalbjähri- ger, dessen Lieblingsbe- schäftigung das Aus- testen von Grenzen zu sein scheint, und eine pubertierende Zwölfjährige, die es ihrem kleinen Bruder gleichmacht, waren für mich Voraussetzung genug,mir den ersten Erziehungsratgeber meines Lebens zu Gemüte zu führen. Bestens geeig- net schien mir der Klassiker und Best- seller „Kinder brauchen Grenzen“ in seiner Neuauflage zu sein. Ob es ums Anziehen oder Aufräu- men geht, ums Fernsehen oder die Hausaufgaben, um Trotzanfälle oder peinliche Situationen im Supermarkt – der tägliche Familienstress ist oft vorprogrammiert. Das Buch, humor- voll geschrieben, veranschaulicht das Thema „Grenzen setzen“ mit zahlrei- chen Praxisbeispielen aus demAlltag. Es beinhaltet wertvolle Denkanstöße sowie hilfreiche Tipps und Tricks. Jan- Uwe Rogge zeigt auf, dass Kinder Orientierung und Rituale brauchen und dabei ein partnerschaftliches Miteinander und Autorität kein Wi- derspruch sein müssen. Beim Lesen konnte ich des Öfteren aufatmen. Kapitel wie „Ermutigung zur pädagogischen Unvollkommen- heit“ und „Von der Kunst, nicht per- fekt zu sein“ entbinden Eltern von dem meist selbst auferlegten Druck des Perfektionismus. Man erhält das Gefühl, in der Erziehung der eigenen Kinder eigentlich doch nicht so vieles falsch zu machen. Trotzdem fragte ich mich während der Lektüre das ein oder andere Mal, ob pädagogische Erfolge im Alltagsleben wirklich so rasch gefeiert werden können, wie es die Beispiele in dem Buch meinen lassen. ● lic.phil. Alexandra Breuß von Jan-Uwe Rogge 2011 Rowohlt Verlag GmbH ISBN 978-3-499-62402-5

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