ifs_zeitschrift_3-11
www.ifs.at Seite 19 Sexueller Missbrauch, schwere Gewalt, schwere Unfälle oder Verletzungen – dies alles sind tiefgreifende Erlebnis- se, die ein sogenanntes Trauma auslö- sen können und Betroffene in extre- me Hilflosigkeit und Angst versetzen. Solche Ereignisse überfordern zumeist die seelischen und biologischen Bewäl- tigungsmechanismen. Deshalb bedarf es oftmals einer professionellen Unter- stützung, um die Gesundheit der Be- troffenen wieder herzustellen. Der Begriff „Trauma“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Verletzung“ bzw. „Wunde“. Ein Trauma ist somit eine durch einschneidende Erlebnisse zugefügte seelische Verletzung: Es pas- siert „zu viel – zu schnell – zu plötzlich“. Das Zentralnervensystem ist überfor- dert und reagiert mit Erstarrung, wenn Kampf oder Flucht nicht mehr möglich sind. Eine natürliche Aufarbeitung geht einher mit Bewegung (Zittern, Schüt- teln und begonnene Bewegungen „zu Ende führen“, z.B. Abwehrbewegungen oder Laufbewegungen), welche aber meist unterdrückt wird. Wenn diese na- türlichen/spontanen Reaktionen nicht erfolgten, kann Traumatherapie die Ver- arbeitung unterstützen. Als Folge von traumatischen Erlebnissen können „posttraumatische Belastungs- störungen“, so die gängige Diagnose, aber auch körperliche und seelische Beschwerden oder Depressionen und Angstzustände entstehen. Trauma- therapie bietet vor allem bei massiven Grenzverletzungen, wie dies körperliche und sexuelle Gewalterfahrungen sind, Hilfe. Das Bild des Lebensflusses illust- riert dies anschaulich. Wie ein Trauma entsteht Der Fluss ist eine Metapher für das Le- ben, das Wasser symbolisiert die Le- bensenergie. Immer wieder stößt die Energie im Flussbett auf kleinere oder größere Steine, Hindernisse. Im wahren Leben sind dies Ereignisse, die uns etwas aus dem Takt bringen, die wir aber be- wältigen können: Lernschwierigkeiten, Schulwechsel, aber auch die Scheidung der Eltern, wenn sich beide Eltern da- nach gemeinsam und in Absprache um das Kind kümmern. Auch unsere „ganz normalen Neurosen“ gehören in diese Kategorie und können kurzfristig unse- re Lebensenergie in ihrem gewohnten Fluss beeinträchtigen – aber es bleibt alles „im Fluss“. Doch Situationen, in denen man außer sich ist, überwältigt in einem negati- ven Sinne und aus der Spur, sind mehr als nur ein Hindernis. Solche Erlebnisse, z.B. sexueller Missbrauch im Kindesal- ter, sind massive Grenzverletzungen – die Uferlinie wird beschädigt und das Wasser, die Lebensenergie in einem „Trauma-Strudel“ über das Ufer hinaus gezogen. Diese Energie fehlt von nun an – sie fehlt, um weiterhin ein „norma- les“ Leben zu führen, sie fehlt, um sich erfolgreich vor künftigen Grenzverlet- zungen zu schützen. Somit besteht bei gravierenden Grenzverletzungen die Gefahr, dass erneut und immer wieder mit Verletzungen ähnlicher Art zu rech- nen ist. Zum einen fehlt eben besagte Energie, um sich zu schützen, zum ande- ren fehlt bereits ein Teil der Grenze, was neuerliche Übergriffe erleichtert. Doch ein Strudel hat immer einen Ge- genstrudel, den Ressourcenstrudel. Man wird zwar in den Traumastrudel hinaus- gezogen, aber irgendwann kommt man wieder in den Ressourcenstrudel und somit in den Lebensfluss. Wie Hilfen aussehen können In der Therapie lernt man, die Anzeichen, die einen immer wieder in den Trauma- strudel ziehen, zu erkennen und mittels eigener Ressourcen gegenzusteuern. Man erlangt die Fähigkeit zurück, selbst darüber zu bestimmen, wie weit man in den Traumastrudel eintaucht, um nicht mehr von den quälenden Erinnerungen überwältigt zu werden. In der Traumatherapie werden unter- schiedliche psychotherapeutische Me- thoden eingesetzt, wobei körperliche Aspekte in die Therapie mit einbezogen werden (z.B. Somatic Experiencing oder EMDR). Es ist äußerst wichtig, dass die körperliche Ebene nicht vernachlässigt wird, denn das Zentralnervensystem rea- giert massiv auf Grenzüberschreitungen. Im Rahmen der Therapie eignen sich Be- troffene das Wissen an, dass der Körper auf bestimmte Trigger (Sinneseindrücke, die Erinnerungen an alte Erfahrungen weckt) reagiert – man erstarrt, beginnt zu schwitzen, der Herzschlag beschleu- nigt sich etc. Dieser Trigger bewirkt, dass man sich genauso fühlt wie damals in der traumatisierenden Situation, man wird in denTrauma-Strudel und – umauf das Bild vom Lebensfluss zurückzukom- men – über die Grenze hinaus gezogen. Grenzen spürbar machen In der Bewältigung geht es darum, Grenzen spürbar zu machen – durch Gespräche, Bewegungen, Übungen etc. Betroffene lernen schrittweise, ihre per- sönlichen Grenzen wieder wahrzuneh- men, zu schützen und zu verteidigen. Es gilt, die persönlichen Ressourcen zu erkennen und sich neue anzueignen. Denn mittels dieser Ressourcen ge- lingt es, sobald die Gefahr besteht, im Trauma-Strudel unterzugehen, in den Gegenstrudel einzutauchen. Durch den sogenannten Ressourcen-Strudel fließt die Energie zurück in den Lebensfluss, der somit nach und nach erneut ein kraftvolles Fassungsvermögen an Le- bensenergie und das Ufer schließt sich wieder. ● Trauma ist „zu viel – zu schnell – zu plötzlich“ Dr. Ruth Rüdisser Leiterin IfS-Kinderschutz ruth.ruedisser-rall@ifs.at „Die Metapher des Lebensflusses“
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