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www.ifs.at Seite 20 Am 25. November findet alljährlich der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen statt, an dem viele Frauenein- richtungen mittels Kampagnen, öffent- lichen Diskussionen oder Fachvorträgen ein Zeichen setzen. Die Betroffenen selbst stehen meist im Hintergrund, bleiben im Verborgenen. Kaum eine Frau kann sich vorstellen, ihre persön- liche „Geschichte“ in der Öffentlichkeit zu erzählen. Zu viele Verletzungen wür- den sichtbar werden, womöglich wären neuerliche Angriffe aus dem nahen Um- feld zu erwarten. „Sie hat sich diesen Mann selbst ausge- sucht!“ oder „Sie soll ihn doch einfach verlassen!“ – Aussagen, die man leider noch all zu oft hört, wenn man über Frauen spricht, die Gewalt in der Bezie- hung erleben. Viele neigen dazu, Opfern von Gewalttaten eine Mitverantwor- tung am Geschehenen zuzuschreiben, um so ihren „Glauben an eine gerechte Welt“ aufrecht erhalten zu können. Aber: Kaum ein Täter ist bereits zu Beginn der Beziehung offensichtlich gewalttätig. Meist beginnt die Gewalt mit subtilen Herabwürdigungen oder verbalen Dro- hungen. Spätere Misshandlungen wer- den als einmalige Entgleisungen herun- tergespielt und Verhaltensänderungen immer wieder versprochen. Die Trennung fällt schwer Häusliche Gewalt ist im Erleben der Opfer mit einem hohen Maß an Scham verbunden. Der Selbstwert und das Zu- trauen in die eigenen Fähigkeiten sin- ken, eigene Bedürfnisse und Interessen können immer schwerer erkannt wer- den. Die Handlungsfähigkeit ist zumTeil stark eingeschränkt. Die Dauer der Miss- handlung ist ein Indiz dafür, dass es für die Opfer häufig sehr schwierig ist, sich aus der Gewaltbeziehung zu befreien. Die Gründe hierfür sind vielfältig: - die Eigendynamik von Gewaltbezie- hungen, die immer wieder Hoffnung aufkeimen lässt - die Schwächung des Opfers durch die Folgen der Gewalt - die vielfältigen Maßnahmen der Täter, um das Opfer unter Druck zu setzen und einer Sanktionierung zu entgehen (victim blaming) - die Angst vor einer Eskalation der Ge- walt durch die Trennung - Schuldgefühle, den Kindern den Vater zu nehmen - wirtschaftliche Existenzängste - wenig angemessene Unterstützung (z.B.Wohnungs- und Arbeitssuche) Bloß nicht auffallen ... Gewaltbeziehungen entwickeln eine Eigendynamik, die es schwer macht, die eigenen Grenzen wahrzunehmen, zu spüren und sich an diesen zu orien- tieren. Vermutlich haben viele gewalt- betroffene Frauen und auch die Täter den Umgang mit „eigenen Grenzen“ nie kennengelernt. Die eigenen Wünsche zurückzustecken, sich am anderen zu orientieren, das zu machen, was er möchte, sind für Opfer klare, nachvollziehbare Handlungen, die in Gewaltbeziehungen das Überleben sichern. „Bloß nicht auffallen, bloß nicht provozieren“ wird gelebt, um somit Ge- waltausbrüchen vorzubeugen. Unterschiedlichste Gewaltmuster In Praxis undWissenschaft wurde lange Zeit angenommen, dass das Muster der Gewaltspirale (Gewaltausbruch – Ent- schuldigung – neuerlicher Gewaltaus- bruch, meist vehementer ...) nahezu alle Gewalt inPaarbeziehungenprägt.Inzwi- schen zeichnen neuere Forschungser- gebnisse ein differenziertes Bild, geben erste Hinweise, dass unterschiedliche Dynamiken und Entwicklungen möglich und verschiedene Muster von Gewalt in Paarbeziehungen wirksam sein können: Das Muster der raschen Trennung Hier handelt es sich um eher junge Frau- en mit kurzen Beziehungen, die selten verheiratet sind bzw. Kinder haben. Die- se Frauen haben eine klare Vorstellung von Beziehung – gewaltfrei sollte sie sein. Sie brauchen vor allem Information und können eigenständig ihre persön- liche Grenze im Umgang mit Gewalt wahren. Das Muster der neuen Chance Es handelt sich um überwiegend ältere Frauen – verheiratet, mehrere Kinder, Hausfrau. Diese Frauen haben eine klare Vorstellung von Lebensplanung und Be- ziehung (Ehe und Familiennormalität). Gewalt besteht in Episoden, die die Nor- malität unterbrechen. Kontinuität in der Beziehung und Rückkehr zur Normalität ist angestrebt. Deutlicher Beratungsbe- darf wird gesehen, allerdings überwie- gend beim Partner. Das Muster des fortgeschrittenen Trennungsprozesses Es handelt sich um Frauen mittleren Alters – langjährig verheiratet, mehre- re Kinder. Diese Frauen haben bereits wiederholt lange Trennungsprozesse mit eskalierender Gewalt und dramati- scher Zuspitzung hinter sich. Die Bezie- hung wird als Kampf erlebt. Oft haben die Frauen bereits Beratung in Anspruch genommen und es gibt einen starken Schutzbedarf. Häufig stehen Fragen der Sicherheit und Organisation des weite- ren Lebens imVordergrund. Frei leben – ohne Gewalt! Wann werden die Grenzen des menschenwürdigen Lebens wieder gewahrt?

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