ifs_zeitschrift_3-11

www.ifs.at Seite 5 Andreas Bertolini Mein Name ist Andreas Bertolini. Ich wurde am 14. Jänner 1967 in Salzburg geboren. Seit 1986 bin ich im medizinischen Zentrallabor in Feldkirch beschäftigt. Ich habe einen geschützten Arbeits- platz, da ich mit acht Monaten mit meinem Großvater die Stiege hin- unter gestürzt bin und ein schweres Schädelhirntrauma erlitt. 1993 bekam ich die Möglichkeit, in eine vom IfS-Fundament neu gegrün- dete und teilbetreute Wohngemein- schaft in Bludenz zu ziehen. Das war für mich ein großer Schritt. Ich lernte meine Fähigkeiten zu erweitern und mich auf ein selbständiges Leben vorzubereiten, mit dem Ziel in eine eigene Wohnung ziehen zu können. Im Jahr 2000 ist mir das dann auch gelungen. Kurzbiografie was für Regeln, was für Leitlinien es für die Familie gibt.Wir wissen auch, dass sich die Anforderungen an Kinder, Ju- gendliche, junge Erwachsene im Laufe der Zeit ändern. Das bedeutet, dass die Regeln immer wieder im gemeinsamen Umfeld neu besprochen, ausgehandelt werden müssen. Können Sie aus Ihrer Erfahrung erzählen, was passiert, wenn man den Jugendli- chen alles durchgehen lässt? Wenn man von Grenzen spricht, gibt es immer das Antonym der Freiheit, das irgendwo mitschwingt. Oftmals wird Grenzenlosigkeit mit Freiheit in Verbin- dung gesetzt. Ich hätte ein anderes Bild dafür – ich denke, Freiheit ergibt sich dann, wenn wir Grenzen haben, die wir akzeptieren können. Grenzenlosigkeit führt zu einemVakuum, man kann sich an nichts halten, an nichts orientieren. Wir kennen Beispiele, dass sich Ju- gendliche dann in anderen Umfeldern Grenzen, Vorbilder, mögliche Leitbilder suchen. Immer wieder hört man die Aussage: Je stärker Kinder oder Jugendliche Grenzen überschreiten, desto mehr bringen sie auch Eltern an ihre Grenzen. Stimmt das? Das würden viele Eltern in dieser Form unterschreiben. Ja, je stärker Jugendli- che über Grenzen gehen, umso mehr sind die Eltern gefordert. Auf der ande- ren Seite bieten Grenzen für Jugendli- che auch Schutz und Orientierung. Eine häufige Frage von Eltern lautet: Mein Kind weiß doch, dass ich das nicht mag, warum tut er bzw. sie es dann? Haben Jugendliche das Recht – bis zu ei- nem gewissen Punkt – über die Grenzen zu gehen? Wenn man es von der juristischen Seite her betrachtet: Jugendliche werden erst mit 14 teilstrafmündig und dann gilt noch immer ein spezielles Jugendgesetz. Somit ist schon im Gesetz niederge- schrieben, dass der Rahmen für Jugend- liche erweitert ist. Das ist eine gesell- schaftliche Erkenntnis und es ist ganz wichtig für Jugendliche, dass sie über Grenzen gehen können. Das, was Ju- gendliche zusätzlich benötigen, ist, dass sie auch eine Rückmeldung erhalten, dass sie über diese Grenzen hinaus ge- gangen sind und trotzdem die Bindung mit den Eltern nicht gefährdet ist. Es gibt sicherlich auch teils starke Aus- einandersetzungen zwischen Eltern und Kindern.Was steckt hinter ständigen Grenzüberschreitungen von Jugendli- chen? Der Drang aufzufallen? Oder dass es für Jugendliche immer schwieriger wird aufzufallen? Die Gründe, weshalb man öfters über Grenzen schreitet, sind wahrscheinlich ganz unterschiedlich. Es gibt viele Mög- lichkeiten, die miteinander verbunden sind – von einem Hilfeschrei über Ausprobieren bis hin zumWunsch nach einer stärkeren Präsenz der Eltern. Der zweite Teil der Frage ist sehr spannend. Ich glaube, dass es für viele Jugendliche immer schwieriger wird, sich von den Eltern abzugrenzen. Zu Beginn unseres Gespräches haben wir angesprochen, wie wichtig es ist, dass Jugendliche ihre eigene Identität finden. Das hat auch etwas mit dem Abnabeln zu tun. Heutzutage spricht man ja schon davon, dass das Phäno- men der Jugend bis ins Pensionsalter hineingetragen wird – das Streben nach ewiger Jugend. Und dadurch wird es für Jugendliche immer schwieriger, sich wirklich eigenständige Bereiche in unserer Gesellschaft zu suchen, in denen sie sich entfalten können. Genau darum ist es auch wichtig Jugendliche, zu loben, wenn etwas gelingt. Würden Sie folgender Aussage zustim- men: Jemand, der in der Jugendzeit nicht rebelliert, begehrt im späteren Leben auf? Der Begriff der Rebellion ist ein sehr starker Begriff. Ich finde nach wie vor, dass es in diesem Alter einen Loslöse- prozess vom elterlichen Zuhause gibt, und dazu gehören einfach auch andere Interessen und neue Betätigungsfelder, neue Ideen. Es gibt sicher auch Jugendliche, die permanent die Grenzen ihrer Eltern überschreiten.Wenn dies der Fall ist, wann kommt der Punkt, an dem Eltern Hilfe von außen in Anspruch nehmen sollten? Ich glaube, das beste Maß dafür ist, wenn die Eltern selbst bemerken, dass sie hilflos, ohnmächtig werden. Das ist ein guter Zeitpunkt, sich Unterstützung von außen zu suchen. Dabei sollte nicht das Bild dominieren, dass Personen, die es besser wissen, hinzugezogen „ Regeln müssen immer wieder im gemeinsamen Umfeld neu besprochen und ausgehandelt werden. “

RkJQdWJsaXNoZXIy NTQ2MDY0