ifs_zeitschrift_3-11

www.ifs.at Seite 8 Menschen mit der Persönlichkeitsstö- rung „Borderline“ (engl. Grenze, Grenz- linie) werden oftmals als Grenzgänger bezeichnet – Grenzgänger in vielerlei Hinsicht. Sie leben und fühlen in Ex- tremen. Ihre Beziehungen schwanken zwischen größter Nähe und übertrie- bener Distanz, sie leiden an immensen Stimmungsschwankungen, fügen sich Selbstverletzungen zu und neigen zu Selbstmordabsichten. Der folgende Ar- tikel stellt einen Versuch dar, das kom- plexe Krankheitsbild zu beschreiben, bietet einen historischen Abriss sowie einenÜberblicküberUrsachen,Therapie­ möglichkeiten und Krankheitsverlauf. Diagnostische Merkmale Hauptmerkmal der Borderline-Persön- lichkeitsstörung (BPS) ist ein gravieren- des Defizit imBereich der Affektregulati- on und Impulskontrolle, typischerweise kombiniert mit Instabilität im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehun- gen und des Selbstbildes. Nach dem DSM-IV, dem Klassifikations- system der American Psychiatric Asso- ciation, das die Instabilität zentral her- ausstreicht, werden folgende Kriterien, von denen mindestens fünf erfüllt sein müssen, zur Diagnose der BPS herange- zogen: 1. VerzweifeltesBemühen,tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden. 2. Zwischenmenschliche Beziehungen pendeln zwischen den Extremen der Idealisierung und Entwertung. 3. Selbstbild ist von andauernder Insta- bilität gekennzeichnet. 4. Sie zeigenMuster selbstschädigender Impulsivität mit entsprechenden au- toaggressivenSymptomäquivalenten (z.B. Suizidalität, selbstverletzendes Verhalten und Substanzmittelmiss- brauch, Symptome einer Essstörung). 5. Wiederholte suizidale Handlungen, Selbstmordandeutungen, -drohun- gen oder selbstverletzendes Verhal- ten 6. Affektive Instabilität 7. HeftigeWut 8. Chronisches Gefühl der Leere 9. Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome Die ICD-10, das internationale Klassifika- tionssystem psychischer Störungen der Weltgesundheitsorganisation, führt ei- nen ähnlichen, etwas weniger differen- zierten Symptomkatalog zur Diagnose- stellung an. Die Diagnose BPS kann kategorial, des- kriptiv über diese derzeit aktuellen Dia- gnoseleitlinien der ICD-10 und der DSM- IV erfasst werden, bei der Entwicklung der Kriterien wurden dimensionale Kon- zepte berücksichtigt. Das Borderlinesyn- drom kann aber auch psychodynamisch über eine Analyse der strukturellen psychischen Voraussetzungen erhoben werden. Begriffe wie Borderline-Persön- lichkeits-Organisation, Borderline-Sta- tes, Borderlinestruktur sind richtungs- weisend. Klinik Beim typischen Patienten mit BPS do- minieren heftige, plötzliche Affektaus- lenkungen in unterschiedlicher Qualität – die Bandbreite Angst, Verzweiflung bis zornige Erregung umfassend, im Ver- halten unberechenbar, die Handlungen autodestruktiv, manchmal auch in be- drohlicher Weise fremdaggressiv. Das Selbstbild ist brüchig, persönliche Ziele und innere Präferenzen (einschließlich der sexuellen) sind meist unsicher, eine konsistente Lebensplanung wird durch den raschen Wechsel der Affekte und durch die verzerrte Wahrnehmung bis hin zu dissoziativen Amnesien verun- möglicht. Die Beziehungsgestaltung ist erschwert durch den (phantasierten) Wunsch nach symbiotischer Nähe, wel- Borderline, one is or one is not? Das komplexe Krankheitsbild von Grenzgängern

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