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15 Ein mutiger Schritt Mag. Elisabeth Tschann Fachbereich Chancengleichheit und Behinderung des Landes Vorarlberg elisabeth.tschann@vorarlberg.at Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer. Die Ablöse vom Elternhaus ist ein wesentlicher Schritt in das Erwachsenenleben. Dieser Schritt braucht Mut und Ermutigung und ist oft ein langer Prozess – für Menschen mit und ohne Beeinträchtigung. Als vor über 25 Jahren Menschen mit Beeinträch- tigung in ihrem Bedürfnis nach einer eigenstän- digen Lebensführung wahrgenommen wurden und ein entsprechendes, niederschwelliges Ange- bot kreiert wurde, war dies ein Wagnis. Kann man Menschen mit Beeinträchtigung so viel Eigenstän- digkeit, so viel Verantwortung zumuten? Natür- lich braucht ein Wagnis Vorbereitung, einen Plan, Mitstreiterinnen und Mitstreiter sowie Wegbeglei- terinnen und -begleiter. Nicht nur Betroffene äußern den Wunsch nach Eigenständigkeit. Deren Angehörige wünschen sich Sicherheit und zudem besteht der gesell- schaftliche Auftrag, Menschen mit Beeinträchti- gung „gut zu versorgen“. Es ist ein Merkmal der Ablöse, des Selbständigwer- dens, dass sich Unsicherheiten zeigen, dass Stol- persteine auftauchen und dass es Mut, Zuspruch und Unterstützung braucht. Diese Unterstützung kann von Angehörigen, Freundinnen und Freun- den oder eben auch durch Mitarbeitende des ifs Fundament geleistet werden. Manche Veränderungen zeigen sich in der Klei- dung, in der Wortwahl, im Freizeitverhalten – und dies oft nicht in der erwünschten Form. Aber: Wird hier nicht mit zweierlei Maß gemessen? Da steht ein Verhalten, das in unserer Gesellschaft völlig legitim ist, plötzlich zur Debatte – weil wir den Blick der Fürsorge auf erwachsene Menschen mit Beeinträchtigung legen, wo loslassen, auspro- bieren, sich messen und zeigen angesagt wäre. Diese Erwartungen des sozialen Umfelds (Angehö- rige, Ausbildner, Erwachsenenvertreterinnen und -vertreter) mit den Möglichkeiten und Wünschen der Betroffenen auszutarieren, ist Thema in ange- leiteten Gesprächen. Entwicklung des eigenen Lebensstils Für das Leben in Eigenständigkeit braucht es nicht nur eine Bleibe, sondern ein Daheim. Dabei geht es nicht um das gemütliche Einrichten der Woh- nung, es geht darum herauszufinden, wie jemand leben will, wie jemand den Feierabend gestalten möchte, wen jemand um sich haben will – eben um den eigenen Lebensstil. Um Bilder und Antworten für diese Themen zu finden und zu schaffen, kann das Fundament wertvolle Anlässe, Gespräche und Trainings anbieten. Freundschaft und Partnerschaft, Einsamkeit und Gemeinschaft, Vertrauen und Ängste sind wiederkehrende Themen auf dem Weg in die Eigenständigkeit – auch das ist Normalität. Um diese Entwicklung zu fördern und um das Beste- hende abzusichern, braucht es respektvolle Mit- arbeiterinnen und Mitarbeiter, die reflektiert und fachlich fundiert mit Menschen arbeiten und sie begleiten. Dafür möchte ich dem Team des ifs Fundament herzlich danken. ○

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