ifs_zeitschrift_pa_21_sonderausgabe_flippingbook
23 SIB Tandem „Ich möchte selbst über mich bestimmen“ SIB Tandem – eine Alternative zur Unterbringung in der Psychiatrie „Für mich ist es das Schönste, dass ich nach so langer Zeit wieder einen eigenen Schlüssel habe. Eine Wohnung, die zu mir gehört und ich trotzdem weiß: Ich bin nicht allein. Es schaut jemand nach mir und ich kann immer anrufen, wenn es mir schlecht geht. Für mich war es amwichtigsten, dass jemand an mich glaubt, dass ich das schaf- fen kann, und mich aushält, auch wenn ich mich manchmal nicht gut benehme.“ (anonymisiert; Klientin SIB Tandem 2021). In Vorarlberg gibt es eine kleine Gruppe schwer psychisch erkrankter Menschen, die sehr häufig oder auch für einen sehr langen Zeitraum in der Psychiatrie aufgenommen werden müssen. Nach erfolgter Akutbehandlung ist eine Entlassung aus dem stationären Klinikkontext zu einem großen Teil von der anschließenden extramuralen Wohn- und Betreuungssituation abhängig. Manche psy- chisch schwer erkrankte Patientinnen und Pati- enten stellen die Sozialpsychiatrie hinsichtlich der extramuralen Versorgung jedoch vor ganz beson- dere Herausforderungen. Bedingt durch die Kom- plexität ihrer Erkrankung und ihres Unterstüt- zungsbedarfes, ihres Verhaltens oder nicht zuletzt durch ihre offensichtliche Ablehnung bestehender Angebote fällt es schwer, Alternativen zur Unter- bringung in der Psychiatrie zu finden. Fortschreitende soziale Isolation Mit Fortschreiten der Erkrankungsdauer verlie- ren diese Betroffenen häufig den sozialen Halt in ihren Familien und ihrem sozialen Umfeld. Die langen stationären Behandlungsaufenthalte wirken zusätzlich wie ein Katalysator auf diese negative Entwicklung der sozialen Isolation und verstärken das Misstrauen in das bekannte Unterstützungssystem gleichermaßen wie auch die Unsicherheit in der Einschätzung der eige- nen Fähigkeiten. Eine längerfristige stationäre Unterbringung im Fachkrankenhaus erscheint oft alternativlos – bedingt durch die fehlende Compli- ance der Betroffenen sowie die Komplexität des Betreuungsaufwandes und damit die Höhe des Hilfebedarfes. 1 Beobachtbare Merkmale dieser Personengruppe sind: - Chronifizierte schwere Erkrankungsverläufe (oft Kombinationen aus schizo-affektiven Störungen, Persönlichkeitsstörungen und Suchterkrankungen) - Ausgeprägter Mangel an sozialen Fertigkeiten - Schwierigkeiten, sich selbst zu versorgen - Fehlende Motivation, medizinisch-pharmakolo- gische Empfehlungen umzusetzen - Fehlende Fähigkeit, Hilfe einzufordern und / oder Einrichtungen aufzusuchen - Hohe Wiederaufnahmeraten in stationärer psychiatrischer Behandlung und ambulanter Versorgung - Abbrüche sind konstantes Merkmal der Beziehungen. - Sie sind häufig auch (zeitweise) Klientinnen und Klienten der Wohnungslosenhilfe.
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy NTQ2MDY0