ifs_zeitschrift_sib_jubilaeum_16

10 Jahre SIB 18 „Die Not des Klienten wird von der Betreuungsperson vorerst stellvertretend für den Klienten emotional vorverarbeitet.“ „Für ihn ist eine ‚sichere Bindung‘ die wichtigste Voraussetzung dafür, dass Kinder lernen, innere Zustandsände- rungen zu regulieren.“ aus, dass, wenn es in einer Einzelfallarbeit möglich ist, eine derart starke und vertraute Beziehung zwischen Klient und Betreuerteam entstehen zu lassen, es ergo zu dem Effekt des „Reparenting“ 5 kommt, weshalb letztlich auch ein strukturelles Nachreifen selbst noch im jugendlichen Alter möglich ist (vgl. Kegan 1994: 44f.). Die wissenschaftliche Begründung für diese Annahme liefert Prof. Dr. med. Rudolf Kegan selbst. Denn Wissenschaftler belegen mit ihren Arbeiten, dass eine nachhaltige therapeutische Aufarbeitung von Konflikten nur auf Basis einer soliden strukturellen Grundlage möglich ist (vgl. Rudolf 2013: 151f.; vgl. Kegan 1994: 44f.). Van der Kolk ist ein weiterer Autor, der den Wert von qua- litativ hochwertigen Bindungserfahrungen im Zusammenhang mit der Behandlung von struktu- rellen Störungen betont. Für ihn ist eine „sichere Bindung“ die wichtigste Voraussetzung dafür, dass Kinder lernen, innere Zustandsänderungen zu regulieren. Daher erachtet van der Kolk es als zentral, dass der Schwerpunkt in der Behandlung bindungsgestörter Jugendlicher auf der Entwick- lung von interpersonaler Sicherheit liegen sollte, damit sich die inneren Strukturen der betroffenen Jugendlichen wieder verfestigen oder neu bilden können (vgl. van der Kolk 1998: 33). Außerdem zeigte die Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse und ihrer Weiterentwicklung, dass spätestens seit der Objektbeziehungs- theorie von Melanie Klein die zentrale Rolle der frühen Mut- ter-Kind-Beziehung für die positive Ent- wicklung der heran- wachsenden Kinder bekannt ist. So wies besonders Bowlby immer wie- der auf die enorme Bedeutung der Ursprungsfami- lie als sichere Basis hin (vgl. Bowlby 1987: 25). Basierend auf dieser eindeutigen Datenlage geht man nun auch innerhalb des SIB davon aus, dass eine sichere Bindung der entscheidende „Wen- depunkt“ im Genesungsprozess von Klienten mit stark ausgeprägten strukturellen Mängeln 6 ist. Daher liegt der Fokus innerhalb des Behand- lungskonzeptes derartig stark auf der Klienten- Betreuer-Beziehung. Denn das Ziel dieser inten- siven Betreuung ist es, den Klienten in einem ersten Schritt bei der „Nachreifung“ seiner deso- laten Ich-Strukturen bestmöglich zu unterstützen. Auf dieser neu gewonnenen Basis kann mit ihm in einem zweiten Schritt ressourcen- und lösungsori- entiert an Problemen gearbeitet werden. Die wesentlichsten Merkmale dieser heilsam wir- kenden Beziehung werden im folgenden Abschnitt kompakt zusammengefasst. Das Kernelement die- ser Form von Beziehung sieht der Autor darin, dass die SIB-Betreuungsperson sich für das Leid seines Kli- enten erbarmt und sich selbst diesem in der Funktion des „Hilfs-Ich“ solange zur Verfü- gung stellt, bis dessen eigene Ich-Strukturen nachgereift sind. Konkret heißt das, dass sich die Betreuungsperson mit dem leidvollen Erle- ben seines Klienten auseinandersetzt und dessen Not erkennt, annimmt und auch würdigt, ohne dass Mitleid und Tröstungsversuche in den Vor- dergrund treten. Gerade die Würdigung des Leides ist laut Kegan (1994: 38f.) von besonderer Bedeutung, da dieser die These vertritt, dass jeder Mensch Gründe hat, sich in der jeweiligen Situation so zu verhalten, wie er dies in jenem Augenblick tut. Die Not des Klienten wird von der Betreuungsperson vorerst stellver- tretend für den Klienten emotional vorverarbei- tet. In weiterer Folge stellt die Bezugsperson ihre Wahrnehmung und ihre emotionale Reaktion dem Klienten zur Verfügung. In dieser Art und Weise nimmt der Betreuer die wohlwollende Haltung eines Mentors oder eines „Ersatzvaters“ ein und stellt sich hinter oder neben den Klienten bzw., wenn es die Situation erfordert, ihm gegenüber. Dadurch kann der Klient mit der Zeit Strukturen aufbauen, die ihn zur Selbst- und Objekt-Differen- zierung befähigen. Dieser zentrale Aspekt des Strukturaufbaus wird nun etwas weiter ausgeführt, weil er den bereits erwähnten essenziellen „Wendepunkt“ im Gene- sungsprozess der SIB-Klienten darstellt. Denn erst dank des erneuten Strukturaufbaus erlangen die Klienten den so wichtigen psychischen Innen- raum zurück, den sie für die Bearbeitung ihrer Konflikte benötigen. Somit handelt es sich bei der SIB-Intervention um eine Form von modifizierter psychodynamischer Therapie, die sich dadurch kennzeichnet, dass man dem Klienten mit einer neuen Form von SIB-Haltung begegnet (vgl. Eife 2008: 405f.). Das zentrale Element dieser Haltung

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