ifs_zeitschrift_sib_jubilaeum_16

21 Jubiläum 2016 geglückten Spiegelung, durch die verhindert wird, dass sich die Bezugsperson zum reinen bedürfnis- befriedigenden Objekt machen lässt. Denn solange man „hinter“ und „neben“ seinem Klienten steht, ist man diesem noch kein Gegenüber, an dem er sich auch reiben kann (vgl. Balint 1933: 168). Doch genau diese Reibung an seiner Bezugsperson braucht der Klient, um sich letztlich selbst aus seinen nega- tiven Objektbeziehungsmustern zu befreien (vgl. Balint 1968: 223f.). Diese Position trägt weiter dazu bei, dass der Klient sich nicht nur als Opfer erlebt, sondern durch die Intervention wieder dazu befä- higt wird, selbstwirksam zu werden. Eine weitere essenzielle Funktion dieser Posi- tion ist es, den Klienten dabei zu unterstützen, zu seinem „wahren Selbst“ (Winnicott 1965: 173) zu finden. Denn die meisten SIB-Klienten haben sich im Sinne einer Abwehrreaktion in eine emo- tional taube „Als-Ob-Persönlichkeit“ (ebd. 1965: 173) zurückgezogen, die ihr eigentliches Sein vor erneuten schmerzhaften und überfordernden Ver- letzungen schützen soll. Jedoch verhindert die- se Art der Abwehr letztlich auch jede Form von authentischer Beziehung. In diesem Kontext, schreibt Winnicott, ist die Be- wusstwerdung der Spiegelung des eigenen Seins im Gegenüber essenziell (vgl. Winnicott 1965: 175f.). Denn durch diese Spiege- lung erlebt sich der Klient von seiner primären Bezugsperson in seinem eigentlichen Sein als gesehen. Dieses Erleben ist laut Winnicott die wesentlichste Grundlage für die Ausbildung der Selbstwahrnehmung. Somit trägt diese Position (wenn auch auf andere Art und Weise) ebenfalls zum Prozess der Bewusstwerdung des eigenen Seins und in weiterer Folge zur Entwicklung der Selbstrefle- xion bei. Denn die Selbstwahrnehmung ist ihrer- seits Grundlage für die Selbstreflexion (vgl. Winni- cott 1974: 128f.). Letztlich wird deutlich, dass der Klient durch die Form der dreifachen Begegnung langsam aber sicher wieder beziehungsfähig wird. Konkret heißt dies, dass der Klient am Ende der Interven- tion wieder in der Lage sein sollte, sein Gegenüber und dessen Ansichten, Empfindungen und Bedürf- nisse wahrzunehmen und anzuerkennen, ohne sich dabei von seinen eigenen Bedürfnissen und Ansichten beeinflussen zu lassen. Gelingt dies, hat der Klient gelernt, dass es verschiedene Rea- litäten und Sichtweisen gibt, wodurch es ihm möglich wird, andere Personen einzuschätzen, Reaktionen vorherzusagen und angemessen zu beurteilen. Zudem ermöglicht es die Fähigkeit, andere Realitäten anzuerkennen, eine Beziehung auch dann aufrechtzuerhalten, wenn nicht beide Personen die gleiche Ansicht teilen (vgl. Bolm 2009: 30f.). Ist der Klient nach der zweijährigen Intervention zu diesem Verhalten in der Lage, wurde ein Hauptziel der Intervention erreicht. Bei Interesse am Thema kann in der Masterarbeit 7 des Autors darüber imDetail nachgelesen werden. ○ 1 Schumacher et. al. (2004: 3) verstehen Resilienz als „psychische Widerstandsfähigkeit“. Mit diesem Begriff beschreiben sie das Phänomen, dass es Menschen gibt, die sich trotz enormer Risiken und belastender Ereignisse rela- tiv leicht von diesen Erlebnissen erholen können oder sogar völlig gesund bleiben, während andere Betroffene unter ver- gleichbaren Bedingungen leiden und sich nie mehr oder nur sehr schwer von diesen Erlebnissen erholen. Sie betonen die zeitliche Variabilität und die damit zusammenhängende si- tuationsspezifische Relativität des Phänomens der Resili- enz (vgl. Schumacher et al. 2004: 18f.). 2 Die meisten SIB-Klienten sind von früher Kindheit an in einem labilen und widersprüchlichen Beziehungs- und Bin- dungsmilieu aufgewachsen und hatten dadurch keine adä- quaten Entwicklungsmöglichkeiten. Somit handelt es sich häufig um kumulative oder Vernachlässigungstraumata. 3 Weitere bekannte Autoren auf diesem Fachgebiet, die diese Meinung teilen, sind z. B. Garmezy (1985: 213f.) und Kastner (2011: 73f.). Beide erklären, dass die positive Traumabewältigung stark vom Vorhandensein eines sich- eren Bindungsmusters zum Zeitpunkt der Traumatisie- rung abhängt. 4 An dieser Stelle sollte angeführt werden, dass Kegan nicht von Heilung spricht, sondern von „erneuter Reife“ (Kegan 1994: 44). 5 Darunter versteht man Nachbeelterung bzw. früher auch Nach-Bemutterung. 6 Die klassische Klientel des SIB verfügt über sehr schwach ausgebildete bis kaum vorhandene Strukturen. Bei einer Vielzahl der behandelten Klienten lassen sich die Störungen überwiegend auf diese strukturellen Mängel zurückführen. Dies bedeutet, dass es in der Betreuung bzw. Therapie dieser jungen Menschen zumindest anfangs weni- ger um die Beschäftigung mit dem der Störung zugrunde- liegenden Grundkonflikt geht. 7 Sozialpsychiatrische Intensivbetreuung (SIB). Eine einzigartige Intervention zur Behandlung schwerster Bin- dungsstörungen. Eine Darlegung der spezifischen Metho- den des sozialpsychiatrisch-therapeutischen Entwicklung- sangebots mit synergetisch-modularen Elementen. Christian Kathan, BA Ehemaliger SIB-Mitarbeiter „Denn durch diese Spiege- lung erlebt sich der Kli- ent von seiner primären Bezugsperson in seinem eigentlichen Sein als gesehen.“

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